DIE BÖRSENWOCHE

Die K-Frage der Finanzmärkte

von Redaktion

Im Börsenjargon bedient man sich gerne Buchstaben, um Entwicklungen bildlich darzustellen. Nach der Finanzkrise wurde heftig diskutiert, ob der Wirtschaft eine „V“-förmige Erholung (scharfer Abschwung gefolgt von schneller Erholung), eine U-förmige (enthielt eine längere Stabilisierungsphase auf niedrigem Niveau) oder eine „L“-förmige (enthielt keine Erholung) bevorstand.

Man mag es also schon ahnen, bei der K-Frage der Kapitalmärkte steht das „K“ nicht für Kanzler. Das „K“ wurde in Corona-Zeiten unter Ökonomen populär, um zu veranschaulichen, dass ein Teil der Wirtschaft so gut wie gar nicht unter der Pandemie litt, während der andere Teil erheblich zu kämpfen hatte. Seit 2022 erfährt das „K“ eine Renaissance, es beschreibt ein partielles Auseinanderlaufen von Konjunktur und Aktienkursen in den USA: Historisch entwickelt sich der US-Aktienmarkt meist parallel zur US-Konjunktur, ablesbar zum Beispiel am Gleichlauf zwischen neu geschaffenen Stellen und dem S&P 500. Seit Ende 2022 zeigt der Arbeitsmarkt jedoch eine abschwächende Dynamik, während es den S&P 500 weiter aufwärts zog – um mehr als 75 Prozent. Eine klassische „K“-Formation.

Was passierte Ende 2022? OpenAI stellte ChatGPT vor, der Startschuss für die rasante Verbreitung Künstlicher-Intelligenz-Programme und der Beginn einer überbordenden KI-Euphorie. Allerdings mehren sich Stimmen, die angesichts der Summen an angekündigten Investitionen in Rechenzentren zum Training der KI-Algorithmen fragen, ob die Produktivitätsgewinne durch diese Technologie die gigantischen Ausgaben rechtfertigen. Nicht, dass der Weltwirtschaft am Ende eine tausende Milliarden teure Lösung zur Verfügung steht, der aber das Problem fehlt, das man mit ihr lösen kann.

Auch innerhalb des KI-Ökosystems zeigt sich aktuell eine „K“-förmige Entwicklung. Laufend werden neue und immer leistungsfähigere KI-Modelle vorgestellt. Betrachtet man eine Art IQ-Test von KI-Modellen, so lässt sich erkennen, wie immer mehr Konkurrenten zum ursprünglichen Platzhirsch OpenAI aufschließen. GPT-4 von Open AI war gemäß dem ECI seiner Zeit weit voraus und es dauerte ein Jahr, bevor die Konkurrenz aufholen konnte.

Mittlerweile präsentiert sich das Feld der KI-Modelle dicht gedrängt, aktuell scheint Gemini-3 von Google die OpenAI-Modelle zu übertreffen. Selbst günstige chinesische Modelle spielen vorne mit. Das hat auch am Aktienmarkt Spuren hinterlassen. Das Google-Universum, bestehend aus Unternehmen, welche neben dem Schöpfer des Modells selbst von dessen Vermarktung profitieren sollten, konnte in den letzten Wochen stark zulegen, während Unternehmen des OpenAI-Universums Kursverluste zu verbuchen hatten.

Für Anleger bedeutet dies, bei KI nicht auf eine Buy-and-Hold Strategie zu setzen. Der Wettkampf an der Spitze wird rauer, die Gewinner von heute können die Verlierer von morgen sein – Anleger müssen ihre Annahmen und Positionen regelmäßig überprüfen. Das wird auch für die nächste Phase gelten. Wenn sich zeigen wird, welche Sektoren und Unternehmen KI mit messbarem Nutzen einsetzen und wer von KI aus dem Markt gedrängt wird. Hier stehen wir erst am Anfang der Entwicklung. Ob sich am Ende gesamtvolkswirtschaftlich die Billionen Investitionen in die Rechenzentren mittels Produktivitätsgewinnen rechnen werden, ist noch mal eine ganz andere Frage.

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