Von großer Liebe, Kunst und Schuhen

von Redaktion

Zu Besuch bei Ute Lechner, Bildhauerin und neue Kulturpreisträgerin des Landkreises Rosenheim

Rechtmehring – Sie waren ein Künstlerpaar, das alle Blicke auf sich zog. Er, Hans Thurner, eher klein und füllig, mit schwarzem Schnauzbart, bayerischer Bauer und später lange Jahre Bürgermeister von Obing. Sie, Ute Lechner, groß gewachsen, schlank, gebürtige Berlinerin, aus gutem Hause.

Jetzt steht die Bildhauerin allein vor der Tür ihres alten Hauses, einer Mühle aus dem zwölften Jahrhundert, und wartet auf den Besucher. Der Mühlbach rauscht unter dem Haus hindurch und fließt dann durch den Garten. Das Mühlrad gibt es schon lange nicht mehr. Ein gläserner Vorbau schützt das Haus gegen die Wetterseite und schafft zusätzlichen Wohnraum. Vor dem Haus steht ein runder Turm aus rostigem Stahl. Zwei Zugangsbrücken führen vom Haus hinüber. Im Garten stehen messingglänzende hohe schlanke Skulpturen, große rostige Kugeln liegen im Gras.

Ein faszinierender Ort ist diese Kumpfmühle bei Rechtmehring, eine faszinierende Frau und Künstlerin ist die Bewohnerin, die kürzlich mit dem Kulturpreis des Landkreises Rosenheim geehrt wurde. Jetzt erwartet sie allein den Besucher, nachdem ihr Kunst- und Lebenspartner im September nach schwerer Krankheit gestorben ist. Alles erinnert im Haus noch an ihren Hans, die vielen gemeinsamen Arbeiten, die Materialbilder an den Wänden, die Totenköpfe aus Messing auf Holzkisten vor dem Wandfoto, das die Knochen des Beinhauses in Hallsstadt zeigt. Leben und Vergänglichkeit waren das wichtige Thema ihrer gemeinsamen Arbeit. Aber auch das neue Regal in der Küche erinnert sie an Hans. „Das haben wir erst kürzlich angebracht, damit er nach dem Schlaganfall seine Tassen und Teller herausnehmen konnte.“

„Gut, dass ich Hans kennengelernt habe“

Und dann erzählt sie vom Kennenlernen beim Weihnachtsmarkt des Rosenheimer Kunstvereins. „Wir hatten beide nichts verkauft. Ich half ihm, einen seiner Objektkästen abzuhängen. Da standen dann seine Schuhe. Ich schlüpfte in die Schuhe – und in sein Leben. Bei ihm hat es sofort eingeschlagen. Gut, dass ich Hans kennengelernt habe“, erinnert sie sich an ihre große Liebe. Das war auch der Beginn einer erfolgreichen künstlerischen Zusammenarbeit. „Wir waren so unterschiedlich, aber in der Kunst ganz nah beisammen“, so Ute Lechner. Sie erinnert sich an ihre gemeinsamen, damals Aufsehen erregenden Kunstaktionen wie „Treffen im Feld“, als sie 1981 auf dem Priener Marktplatz Säcke mit alten Schuhen ausleerten, in die dann die Passanten schlüpfen konnten. Die schönste Aktion war für sie 18 Jahre später „Zeitmahl“ in der ehemaligen Klosterkirche in Traunstein, als zehn Paare an Objekttischen über den darunter aufbewahrten Zeichen der Vergänglichkeit speisten. „Ach, das war schön, auch die Fotos davon mit den Männern in Schwarz und den Frauen in Rot“, schwärmt die Künstlerin heute noch. Wie das „Zeitmahl“ hatte auch die Ausstellung „Laudemium“ in Kloster Seeon das Thema Zeit und Vergangenheit zum Inhalt. 55 Karren mit kleinen Bronzeobjekten darauf symbolisierten dabei die Naturalabgaben der Bauern. „Hans hat die Karren gemacht und ich, was drauf war“, erzählt Ute Lechner. Noch heute sind einige der Karren auf der Wiese vor dem Kultur- und Bildungszentrum Kloster Seeon zu sehen. Ihr gemeinsames Thema der letzten Jahre war „Die Erde ist keine vollkommene Kugel“. Dabei fertigten Ute Lechner und Hans Thurner Stahl- und Messingkugeln unterschiedlicher Größen. Nicht nur im eigenen Garten vor der Mühle sind einige zu sehen, sondern ein paar besonders große Exemplare auch als Kunst im öffentlichen Raum in der Mitte des Kreisverkehrs oberhalb von Wasserburg in Richtung Prien und Rosenheim. Die Kugeln stehen symbolhaft für die Erde. Manche haben Schrunden, Risse, sind verrostet. Andere glänzen und haben doch Dellen.

Viele Jahre waren Ute Lechner und Hans Thurner künstlerisch und privat schon ein Paar, bevor sie schließlich 2005 in Rechtmehring heirateten. Beide waren schon verheiratet gewesen. Beide hatten aus den ersten Ehen Kinder, er zwei, sie fünf. Aber viel lieber erzählt sie von Hans. Wie ihr Hans vor fast 30 Jahren eines Abends in bar das Geld für den Kauf der alten Mühle der Künstlerin Louise Stomps zusteckte. Wie sie dann jeden Monat 1000 Mark an ihn zurückzahlte. Sie wollte die Mühle nicht geschenkt. Dann erzählt sie von ihrer Kindheit, wie sie als Hausgeburt auf die Welt kam, ohne dass jemand dabei war. Der Vater war in die falsche Richtung gelaufen, als er die Hebamme hatte holen wollen. Als diese dann aus der anderen Richtung gekommen war, konnte sie nicht ins Haus. Das war im Kriegsjahr 1943 um 20 Uhr zugesperrt.

Ute Lechner erzählt weiter, wie sie ohne Vater aufwuchs, der gegen Kriegsende in Berlin tödlich verwundet worden war, wie sie unter ihrem Mädchennamen Röhr litt, wenn die anderen Kinder riefen: „Die Röhre kommt“. Deshalb habe sie nach der Trennung von ihrem ersten Mann, dem Glaskünstler Florian Lechner, den sie beim Kunststudium in Kassel kenngelernt hatte, auch den Namen behalten. Ihre Mutter war für die FDP Abgeordnete im hessischen Landtag. Sie selbst ging in Marburg in die Waldorfschule und studierte später bei Fritz Winter, einem der wichtigsten abstrakten Maler der Nachkriegszeit. „Ich war bei ihm Meisterschülerin, habe ihn aber nicht oft gesehen“. Danach habe sie sich aber auf die Bildhauerei verlegt. „Da wusste ich, das kann ich am besten“, so Ute Lechner. „Das Handwerkliche hab ich schon auf der Waldorfschule gelernt. Von da kommt auch meine Liebe zum Holz“. Auch wenn sie nicht Lehrerin an einer Schule sein wollte, unterrichtete sie später doch. Nach der Trennung von ihrem ersten Mann, mit dem sie nach Neubeuern gezogen war, hatte sie viele Jahre eine Malschule für Kinder und Erwachsene in Neubeuern, Wasserburg und Rosenheim. „Ich hatte unheimlich viele Schüler. Deswegen kennen mich auch so viele Leute.“ Sie wurde heimisch in Bayern und sogar katholisch, auch wegen der Kinder, sagt sie.

In ihrem kleinen Arbeitszimmer, im ersten Stock des Turms, hängen drei fast identische alte Christus-Korpusse ohne Arme nebeneinander an der Wand. „Meine drei Heiländer“, sagt sie. Immer ist ihre Kunst auch metaphysisch, fast religiös, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint. Ihre unvollkommenen Kugeln zeigen ihre Sehnsucht nach Vollkommenheit, ihre Kreisel den Lauf der Welt, das ewige Werden und Vergehen. Voll betörender Schönheit und Eleganz sind ihre oft rätselhaften Figuren, gestaltet in dunklem Anthrazit oder gleißendem goldfarbenem Messing, changierend zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Und sie zeigt auch Haltung wie mit dem beeindruckenden, hölzernen, halb verbrannten Holzboot, ein symbolhaftes Flüchtlingsboot. Ute Lechner hat es zusammen mit Hans Thurner bei der diesjährigen Jahresausstellung des Rosenheimer Kunstvereins in der Städtischen Galerie Rosenheim ausgestellt.

Ute Lechner ist eine international gefragte Künstlerin. Ihre Skulpturen und Installationen waren und sind in vielen Einzel- oder Gruppenausstellungen zu sehen. Zahlreich sind die öffentlichen Ankäufe ihrer Werke, vielfach ist sie mit „Kunst am Bau“ im öffentlichen Raum vertreten.

„Ich bin eine Grenzgängerin“

Über den Kulturpreis des Landkreises freut sie sich aber besonders. „Ich bin sehr stolz auf den Preis“. Seit 20 Jahren habe den keine Frau mehr bekommen. „Das ist mit auch sehr wichtig. Das hab ich von meiner Mutter.“

Dann erzählt sie aber gleich wieder von ihrem Hans. „Der Hans hat sich noch sehr gefreut, dass ich den Preis bekomme“. Er habe ihn ja leider nicht bekommen können, da er ein Künstler aus dem Landkreis Traunstein gewesen sei. Ein Kriterium für die Vergabe ist der Wohnort im oder die Beziehung zum Landkreis Rosenheim. „Ich bin eine Grenzgängerin“, meint sie mit einem schelmischen Lächeln: Ihre Mühle steht genau auf der Landkreisgrenze von Mühldorf und Rosenheim. Ihrem Hans gehört der Preis aber doch zu einem Teil. Auch wenn sie sagt, dass er nie Mittelpunkt sein wollte. „Das war ihm nie wichtig“.

Eigentlich wollten sie noch viel gemeinsam machen. „Wir hatten als Nächstes ein Projekt im Ganserhaus vor, eine Objektausstellung. Wir hatten uns schon 2016 beworben. 2017 sollte es dann sein.“ Doch nach einem Schlaganfall im August 2016 war bei Hans ein
Auge ganz kaputt. Das andere war vom Schweißen angegriffen. „Er hat auf sich überhaupt nicht aufgepasst“, sagt Ute Lechner. Und schließlich habe ihn, als er fast blind war, der Lebensmut verlassen.

„Wenn Hans noch leben würde, wären wir jetzt am Meer in Fuerteventura“, sagt sie und blickt hinaus in die graue Novemberdämmerung. Trotz ihrer Trauer schaut Ute Lechner in die Zukunft: „Die 5000 Euro vom Preis gebe ich jetzt nicht aus. Davon will ich eine schöne Reise machen“. Und auch die geplante Ausstellung soll kommen. Die gibt es nächstes Jahr zum 50. Jubiläum des AK 68 in Wasserburg. „Hans war beim Arbeitskreis 68 in den 1980er-Jahren einige Jahre Vorsitzender. Ich habe ihm versprochen, dass ich einen kleinen Katalog machen werde.“

„Ein Allroundkönner. Das war Hans“

Und sie überlegt auch, was aus dem Kunststall in Pittenhart werden soll. Der ehemalige Laufstall, in dem Hans Thurner, als er noch Landwirt war, über 100 Kühe hatte, ist heute voller Kunstobjekte des Paares. Sie will daraus einen Kunstraum machen, der mindestens einmal die Woche geöffnet ist. „Ich bräuchte jemanden, der mir hilft, einen Allroundkönner. Das war Hans. Der konnte alles“. Aber vielleicht, meint sie, könne ihr erst mal auch der Bürgermeister von Pittenhart weiterhelfen. Das sei ein sehr Netter.

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