Erl –Die Neujahrskonzerte der Wiener Philharmoniker mögen berühmter sein, das Neujahrskonzert der Tiroler Festspiele Erl ist dafür intimer, herzlicher und vor allem kontrastreicher. Wer außer Gustav Kuhn wagt es schon, auf die „Tik-Tak“-Polka von Johann Strauss das „Gloria“ von Vivaldi folgen zu lassen? Oder Strauss‘ „Accelerationen-Walzer“ mit der „Cum-sancto-spiritu“-Fuge aus Rossinis „Petite messe solennelle“ zu kombinieren? Oder auf den Einzugschor der Gäste aus Wagners „Tannhäuser“ die Schnellpolka „Bahn frei“ von Eduard Strauss folgen zu lassen?
Erst einmal: Gute Musik ist gute Musik, egal in welcher Reihenfolge. Dann: Schon Eduard Strauß hatte in seinen Sonntagnachmittagskonzerten unbekümmert Strauss-Musik mit den damaligen Musik-„Hits“ von Richard Wagner verknüpft. Und schließlich: Wer so animiert, so inbrünstig und hingebungsvoll musiziert wie das Orchester der Erler Festspiele und so begeistert singt wie die Erler Chorakademie, dem ist irgendwann egal, was er in welcher Reihenfolge spielt und singt. Moderiert übrigens wurde das Konzert kundig und humorvoll vom Festspiel-Präsidenten Hans Peter Haselsteiner höchstselbst.
Obwohl da ein Riesenorchester auf der Bühne saß, wurde kammermusikalisch durchlüftet und geradezu elegant-agil gespielt, und Einzelleistungen stachen immer wieder hervor. So tanzte die überragende Soloklarinettistin in der „Leichte-Kavallerie“-Ouvertüre von Franz von Suppé, die Kuhn schon im Hereingehen begann, ihren Part körperlich mit, bevor sie ihr beseeltes Solo begann. So schlug die sehr junge Schlagzeugerin nicht nur ein präzises Triangel-Solo, von Kuhn richtiggehend herausgekitzelt, in Strauss‘ „Pizzikato-Polka“, sondern auch schön wummernd die Kesselpauke in der „Donner-und-Blitz“-Polka: Kuhn mag seine Musiker. Und wir Zuhörer müssen sie schließlich auch mögen, so süffig-satt, so schmelzend und so wendig präsentierten sie den „Accelerationen“-Walzer.
Die Galopps und Polkas nahm Kuhn so feurig-schnell, dass man versteht, wie bacchantisch und dithyrambisch die jungen Wienerinnen sich bei einem Galopp wie dem „Sperl-Galopp“ von Strauss-Vater in einen Rausch tanzten, die Schnellpolka „Ohne Sorge“ war verziert mit kollektivem Fußaufstampfen und Gelächter der Musiker. In den Walzern allerdings zelebrierte Kuhn nicht die typisch österreichische (oder nur speziell wienerische?) „verhatschte“, nämlich spannungsvoll retardierende Drei des Walzertaktes und auch nicht die triumphale Posaunenhymne im „Kaiserwalzer“, dafür gab er darin dem Solo-Cello feierliche Weihe.
Noch war nicht die Rede vom Chor: Schmetterfreudig und stimmkräftig zeigte der sich Fugen-erfahren bei Rossini, blockhaft-siegessicher in Händels „Coronation Anthem Nr. 1“, der Champions-League-Hymne, und opernpomphaft im Chor der Gäste aus „Tannhäuser“. Dann endete das Neujahrskonzert eben nicht mit dem Donau-Walzer und nicht mit dem Radetzky-Marsch, sondern mit einem furios-witzigen und lustig choreografierten Chor aus Rossinis Oper „Die Italienerin in Algier“.