Maßvolle Vernunft und liebende Zuwendung

von Redaktion

Vortrag über die Stimme der Frau in Goethes Dichtung bei Rosenheimer Goethe-Gesellschaft

Rosenheim – Es gibt kaum einen Dichter deutscher Sprache, in dessen Werk die Stimme der Frau so rein, so natürlich und lebendig erklingt wie in der Poesie Goethes. In seinem Vortrag mit dem Titel „Hochbeglückt in deiner Liebe – Die Stimme der Frau in Goethes Dichtung“ untersuchte der Präsident der Goethe-Gesellschaft Weimar, Dr. Jochen Golz, anhand ausgewählter Gedichte und Dramen Goethes die Frau als Sprecherin wie als Angesprochene. Golz sprach auf Einladung der Goethe-Gesellschaft Rosenheim vor zahlreichen Zuhörern im Künstlerhof am Ludwigsplatz.

In seinen sachkundigen Ausführungen widmete sich der Referent nicht nur der Gestalt Gretchens im „Faust“, sondern auch dem Lied „Mignon“ aus dem „Wilhelm Meister“ und dem „West-östlichen Divan“. In dem frühen Gedicht „Rettung“ bearbeitet der Dichter mit der Untreue des Mädchens eine alltägliche Begebenheit. Das süße Käthchen heilt den Lebensmüden durch versöhnende Küsse. „Die Stimme der Frau macht sich geltend durch Einsicht, maßvolle Vernunft und liebende Zuwendung“, so Golz.

Das körperlich-seelische Leid der Frauen sei in Goethes Dichtung oft bedingt durch gesellschaftliche Zwänge. Aus dem „Urfaust“ habe Goethe die wehmütig-verzweifelten Monologe Gretchens übernommen. Die innere Ruhelosigkeit der Liebenden, die im monotonen Rhythmus des Spinnrads zum Ausdruck kommt, habe Franz Schubert laut Golz kongenial vertont. Das Gedicht „Vor Gericht“, ein Plädoyer für die Liebe, verbinde soziale Anklage mit mitfühlendem Verständnis für die junge, schwangere Frau, die den Namen des Vaters ihres Kindes aus Liebe und Stolz nicht preisgibt.

Ausführlich interpretierte Golz das geheimnisvolle Lied „Mignon“ mit seinen leuchtenden Bildern von Landschaft, Architektur und Natur. Die erste Strophe sei ein Synonym für die Italiensehnsucht, die zweite Strophe zeige ein ideales Refugium, die dritte die ungebändigte Natur. Mignon wendet sich zunächst an den Geliebten, dann an den Beschützer und den Vater. „Weiblichkeit und Poesie stehen in diesem Gedicht in unauflöslicher Verbindung“, so Golz.

Empfindsam-elegischen Zauber verströmen die Liebesgedichte „Ostwind“ und „Westwind“ aus dem „West-östlichen Divan“, die beide von Marianne von Willemer stammen. Goethe und Marianne verband im Sommer 1815 nicht nur in der Dichtung als Hafis und Suleika eine große Liebe. Goethe hat Mariannes große lyrische Begabung bewundert. Als eine verborgene Huldigung an Marianne habe er ihre Gedichte in den Divan aufgenommen, was die Öffentlichkeit aber erst Jahre nach Mariannes Tod erfuhr. „In seiner Bearbeitung hat der Dichter bewusst den persönlichen Bezug verallgemeinert“, erklärte Golz. Die musikalische Sprache Schuberts habe den Gedichten eine nicht mehr zu steigernde Intensität gegeben.

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