Rosenheim – Bei dem Wort Wiese denkt man an sattes, grünes Gras, an gelben Löwenzahn, blaue Glockenblumen, summende Bienen, grasende Kühe, springende Grashüpfer oder auch einen lauten Traktor mit der Mähmaschine oder dem Ladewagen – nichts von alledem ist in der Ausstellung „Wiese“ in der Städtischen Galerie Rosenheim zu sehen. Es ist ein Projekt des Schnaitseer Künstlers Andreas Pytlik gemeinsam mit Bettina Gorn, Christoph Lammers und Andreas Usenbenz. Sie wollen keine bekannten Bilder bieten, weder schöne, positive noch kritische, negative, sondern wollen Assoziationen beim Betrachter wecken. Sie wollen den Begriff und die Vorstellung von Wiese in Kunst übersetzen. Das wird nicht jedem Betrachter gefallen. Da mag sich auch der eine oder andere verständnislos abwenden, ohne dass er deshalb ein künstlerischer Ignorant ist. Kunst muss nicht gefallen, Kunst muss auch nicht ansprechen.
Allerdings sind die Aussagen des Pressetextes zur Ausstellung nicht unbedingt nachvollziehbar. Dass sich Pytlik bei einem Video, bei dem er mit einem Rasenmäher eine Wiese mäht, mit dem „Mähen in seiner transzendentalen Funktion für die Wiese“ auseinandersetzt, kann man glauben oder nicht. Auch die Behauptung, dass die aktuelle Bedrohung dieses einzigartigen Ökosystems und seiner Artenvielfalt durch Bebauung und die industrialisierte Landwirtschaft durch die Ausstellung zum Thema gemacht wird, lässt sich von dem Gesehenen nicht untermauern. Wer dies eh weiß, darf es assoziieren.
Doch was sieht man: Andeas Pytlik, der sich seit mittlerweile 20 Jahren fast ausschließlich mit der Farbe Grün beschäftigt und sich für diese von der Gegenwartskunst geächtete Farbe einsetzt, setzt auf radikale Reduktion. Er schreibt mit dickem Pinselstrich das Wort „WIESE“ auf meist grünen Hintergrund. Dabei variiert er aber mit den Farben des Hintergrunds und auch des Schriftzugs. Da kann der Hintergrund auch bräunlich werden, die Schrift rot, gelb, blau, auch grün, bis hin zu einem Bild, auf dem sich auf milchigem Weiß, der ebenfalls weiße Schriftzug kaum lesen lässt. Die Wiese zeigt sich also in allen möglichen Zuständen. Dabei lässt der Künstler die Farbe des Schriftzugs in die Fläche tropfen und fließen. In ihrer seriellen Machart erinnern Pytliks Bilder einerseits an die Serien von Warhols Mao- oder Monroe-Drucken, die erst vergangenes Jahr in der Galerie zu sehen waren, oder lassen an die konkrete Poesie Eugen Gomringers denken.
Zu den „Wiesenbildern“ Pytliks gesellen sich in den Räumen der Ausstellung großformatige farbige fotografische Abstraktionen von Bettina Gorn. Die ausgebildete Tänzerin holt sich die Wiese mit Gras, Heu und Blüten ins Studio, lässt Akteurinnen sich frei darin bewegen, tanzen und hüpfen, und sie bewegt sich bei ihren Aufnahmen selbst mit, fängt die Dynamik ein und präsentiert als Ergebnis abstrakte, verwischt-vernebelte, nicht klar greifbare Bilder. Es sind Bilder vager Erinnerungen. Ähnlich sind die Bilder ihrer Videoarbeit „Wandel“, bei der eine nackte Akteurin verschiedene Wiesenräume durchstreift. Das Werden und Vergehen wird anschaulich bei dieser Arbeit, die in ihrer Machart zugleich an psychedelische Streifen der 60er- Jahre erinnert. Ganz neuzeitlich ist ihr Video „Barcode“, in dem Bettina Gorn die Buchstaben des Wortes „Wiese“ in fließenden, farbigen Variationen präsentiert.
Ein Pendant zu den grünen Gemälden Pytliks und den farbigen Abstraktionen Bettina Gorns sind die Graphit-, Kreide- und Tuschearbeiten von Christoph Lammers. Seine Arbeiten sind in Grautönen gehalten. Bei ihm entsteht die Natur, ihr Wachsen und Vergehen aus einem Dickicht an Strichen aus Graphit und Kohle oder auch Tusche. Mal ist die Natur undurchdringlich, mal sind es filigrane Zeichnungen einer wachsenden Pflanzenwelt. Besonders ansprechend ist eine Serie „Growing“ mit transparenten doppellagigen Bildern, bei der Lammers mit Tuschestift auf Seidenpapier gezeichnet hat.
Ein Wandbild
voller Dynamik
Interessant und voller Dynamik ist auch das große Wandbild, das Lammers bei seiner Performance zur Eröffnung der Ausstellung geschaffen hat. „Alles wächst“ hat er auf das sprießende Gewächs geschrieben.
Die Klänge zur Performance und auch zu den Videoarbeiten von Bettina Gorn stammen vom Klangkünstler und Sounddesigner Andreas Usenbenz. Er zeigt auch eine bemerkenswerte Installation. Usenbenz wollte für das Ausstellungsprojekt den „Sound“ der Wiese einfangen. Er brachte Mikrofone direkt in der Vegetation der Wiese an und komponierte daraus die Installation „Resonanz“. Sie lässt einen in den Wiesenuntergrund eintauchen. Der Besucher geht durch ein lockeres Geflecht von Stricken, die wohl das Wurzelwerk darstellen sollen und hört dabei die Wiesengeräusche: Rauschen und Knistern, Glucksen und Gurgeln.
In einem Raum liegt vor den Wiesenbildern Pytliks auf einem kleinen Podest ein kompaktes Häufchen Heu. Man erinnert sich an die Natur und möchte endlich eine wirkliche Wiese erleben mit sattem, grünem Gras, gelbem Löwenzahn, blauen Glockenblumen, summenden Bienen und grasenden Kühen mit Hörnern.