Strahlen einer harmonischen Welt

von Redaktion

Rudolf Drux über Goethes Symbolkunst bei der Goethe-Gesellschaft Rosenheim

Rosenheim – „Ich bin nun ganz eingeschifft auf der Woge der Welt – voll entschlossen: zu entdecken, gewinnen, streiten, scheitern, oder mich mit aller Ladung in die Luft zu sprengen“, schrieb Goethe im März 1776 an Lavater. Oft hat der Dichter in seinen Briefen und Gedichten Schifffahrtsbilder als Symbol verwendet. Der Germanist Professor Rudolf Drux zeigte in seinem profunden und humorvollen Vortrag „Auf (dem) See“ die Symbolkunst Goethes anhand seiner lyrischen Schiff- und Kahnfahrten. Drux, der in Köln lebt, aber immer wieder gern in seine Geburtsstadt Rosenheim kommt, sprach auf Einladung der Goethe-Gesellschaft Rosenheim im Künstlerhof am Ludwigsplatz.

In dem 1776 geschriebenen Gedicht „Seefahrt“, das metaphorische Parallelen zum Briefzitat an Lavater aufweist, unternimmt Goethe eine persönliche Standortbestimmung. Goethes Vater, so Drux, habe es als Trostgedicht für Freunde angesehen. Zunächst herrsche eine phonetische Eintönigkeit, die sich aber bald im erzählerischen Präteritum zum nacherlebten freudigen Aufbruch wandle. „Die Reaktionen werden in wörtlicher Rede wiedergegeben, sodass eine emotionale Betroffenheit entsteht“, erklärte Drux. Der willensstarke Steuermann, der ein willenloses Schiff steuere, baut auf seine eigenen Kräfte. Goethe verwende mit dem Begriffspaar „Wind und Wellen“ in einem rhetorisch-pathetischen Duktus nicht nur Alliterationen, sondern auch Überkreuzstellungen.

Vom „Ich“ zum „Er“

In dem Gedicht „Seefahrt“ finde ein Wechsel statt vom lyrischen, erlebenden „Ich“ zum beobachtenden „Er“, so der Referent. Die biographische Situation münde in einer allgemeinen Aussage. Komme im spätbarocken Gedicht die Schifffahrt als reine Allegorie vom Leben vor, werde bei Goethe der Lebenslauf ausdrücklich vermittelt. Nicht mehr der feste Glaube an Gottes Allmacht, sondern an das eigene Talent sei maßgebend. „Das Genie gewinnt seine künstlerische Autonomie“, erklärte Drux. In Goethes „Torquato Tasso“ komme es laut Drux zur Aufhebung der Kooperation von Politik und Kunst. Tasso habe in der Gefahr sein kreatives Selbstbewusstsein verloren, da er nicht mehr als bewegliche Welle figurieren könne.

Die erste Version des Gedichts „Auf dem See“ von 1775, das nach Goethes Liebesbeziehung zu Lili Schönemann entstand, sei laut Drux näher am Ereignis, in der zweiten Version von 1789 sei die Mutter-Kind-Beziehung deutlich abgemildert. Die Nähe der Geliebten werde nun durch die mütterliche Natur, das fiktive Meer durch den realen See ersetzt. Goethes symbolische Naturdarstellung lasse laut Drux aufgrund ihrer Schönheit utopische Strahlen einer harmonischen Welt aufscheinen. „In der dritten Strophe“, so der Germanist, gehe das lyrische „Ich“ in der Harmonie des Kosmos auf.

Die Gedichte „Meeresstille“ und „Glückliche Fahrt“, für Drux mustergültige Beispiele für symbolisches Sprechen, stellen Wetter und Stimmungslage, Regungslosigkeit und Rührigkeit gegenüber. In beiden Gedichten werde das Besondere lebendig erfasst und im Wechselspiel von Aktivität und Passivität, von Todesangst und Lebensfreude ins Allgemeine erhoben. fü

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