Kloster Seeon

Tisch als Bühne menschlicher Existenz

von Redaktion

Bildhauer Andreas Kuhnlein setzt bei seiner neuen Ausstellung auf die Kraft der Reduktion

Seeon – Der Bildhauer Andreas Kuhnlein aus Unterwössen versteht es immer wieder, einen in Erstaunen zu versetzen. Nach den beiden Ausstellungshöhepunkten „Zerklüftete Antike“ in der Münchner Glyptothek 2016 und „MenschSein“ in der Städtischen Galerie Rosenheim im letzten Jahr fragte man sich: Wie soll es weitergehen nach diesen Meilensteinen, „nach diesen Besuchen im Olymp“, wie es der Münchner Schriftsteller und Kuhnlein-Laudator Gerd Holzheimer unlängst ausgedrückt hat?

Nach der viel beachteten Auseinandersetzung mit der antiken Mythologie und einem Durchschreiten menschlicher Existenzkrisen mit neuen künstlerischen Ansätzen gestattet sich der Unterwössener jetzt in Seeon einen Ausflug in die eigene Vergangenheit. In der malerischen Natur des Klostergeländes ist noch bis 21. Oktober seine Ausstellung „Der Tisch ist ein Floß – eine Geschichte in Skulpturen von Andreas Kuhnlein“ zu sehen. Der weitgereiste Künstler und Kulturpreisträger, der seine Werke mittlerweile in über 200 Einzelausstellungen und gut 100 Ausstellungsbeteiligungen in 16 Ländern gezeigt hat, nimmt damit seine bekannten Holzfiguren der „Zerklüfteten“ ein Stück weit zurück.

Stattdessen greift er das Thema Tisch erneut auf. Der Tisch als Symbol für den menschlichen Umgang miteinander, als Ort der Kommunikation, als Versammlungsort und Sitzplatz, an dem Entscheidungen von historischer Tragweite getroffen werden oder tiefgreifende Zerwürfnisse ihren Ausgangspunkt nehmen. Der ehemalige Bezirksheimatpfleger Stefan Hirsch schrieb dazu: „Im Thema Tisch steckt für Kuhnlein vor allem auch die Bedeutung der zwischenmenschlichen Kommunikation, des Symposions, des Mahls in seiner ganzen anthropologischen kulturgeschichtlichen und religiösen Spannweite.“

Bereits zwischen 1993 und 1995, also noch vor seinem künstlerischen Durchbruch mit den von der Motorsäge „Zerklüfteten“, schuf Kuhnlein feinsinnige „Tischbilder“, die weit jenseits ihrer Funktion als Mobiliar künstlerisch unter die Haut gingen. „Macht und Vergänglichkeit“, „Konsequenz“, „Selbstzweifel“ oder „Schicksalsgemeinschaft“ lauteten die Titel der Werke, die Abstraktes anschaulich begreifbar machten.

Lange standen diese frühen Meisterwerke im Archiv, bis sie letztes Jahr in einer Ausstellung in Heilsbronn wieder zu Ehren kamen. In Seeon zu sehen ist das anspielungsreiche Tischbildnis „Tisch und Wort“ (1994). Vor den wie Runen zum Wahrsagen auf dem Tisch hingeworfenen Buchstaben verharrt die zerklüftete „Leserin“ (2015) in Stille und führt den großen Entwicklungsbogen in der Kunst von Kuhnlein beinahe meditativ vor Augen.

Die aktuelle Schau ist bewusst eine der reduziertesten von Kuhnlein. Lediglich elf Werke oder Werkgruppen laden zum Verweilen, Nachdenken und Durchschnaufen in großartiger Naturkulisse ein. Quasi wie in einzelnen Bild-Tableaus erzählt der Holzbildhauer und Fami-lienmensch in Form gewaltiger Tischbildnisse Geschichten. Um die von medialer Dauerberieselung geprägte Sprachlosigkeit in der modernen Gesellschaft geht es, deren Mitglieder er am „Tisch des letzten Abendmahls“ zu Einkehr und dem Erleben neuer Gemeinsamkeit einlädt. Tische werden voller Brutalität umgeworfen oder sisyphoshaft wieder aufgerichtet und damit zum Sinnbild menschlichen Handelns. Der Tisch wird bei Kuhnlein auch unvermittelt zu einem Floß in rauer See, zu Halteplanken in den odysseehaften Irrfahrten des Lebens. Assoziationen an Flüchtlingsschicksale oder auch „die ordnende Hand des Weiblichen“ (Kuhnlein), die Struktur ins Chaos zu bringen versteht, sind durchaus gewollt.

Der Tisch als Holzmöbel, Altar, historische Bühne oder noch mehr: Beziehungsreich und zugleich extrem reduziert lädt Kuhnlein in einem bläulich schimmernden Raum den „Runden Tisch“ mit neuen Bedeutungen auf. Texte von Gerd Holzheimer geben begleitend Impulse zur Ausstellung, sich bei den neuen „Tischbildnissen“ auf eine erkenntnisreiche Entdeckungsreise zu begeben.

Programm zur Ausstellung

Ergänzend zur Ausstellung wird ein Rahmenprogramm mit Musikveranstaltungen, Künstlergesprächen und Kunstaktionen angeboten. Am Freitag, 8. Juni, um 18.30 Uhr erzählen die Musiker Monika Drasch und Friedrich Custodio Spieser sowie der Schriftsteller Gerd Holzheimer „Mit da Zither am Tisch – von Tischen und Flößen“. Am Sonntag, 22. Juli, um 15 Uhr ziehen Andreas Kuhnlein und der Lebenshilfe-Projektchor „Insieme“ mit Musik von Tisch zu Tisch. Für alle, die mehr wissen möchten, gibt es am 9. Juni und am 11. August jeweils um 14 Uhr ein Künstlergespräch, das von der Kunsthistorikerin Hedwig Amann moderiert wird. Das Rahmenprogramm endet am 8. und 9. September mit Vorstellungen des Pantomimen und Performance-Künstlers Benedikt Anzeneder.

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