Erl – Ein Hotter war er nicht, auch kein George London oder Donald McIntyre. Aber ihre Wagner-Partien hatte er sich einverleibt – Wotan, Telramund, Holländer, Hans Sachs – und unter edlen Dirigenten und an der Seite von Spitzenkräften von der Güte einer Caballé, Lucia Popp oder Anja Harteros (jawohl: vor 16 Jahren an der Hamburgischen Staatsoper, als sie Eva sang) zum Leuchten gebracht. Auch wenn das einstige Leuchten der Stimme des heute 75-jährigen vielgepriesenen und weit herumgereichten Ruhrpott-Heldenbaritons Oskar Hillebrandt an Strahlkraft eingebüßt haben mag: der Sympathien des Publikums konnte sich der Sänger bei seinem Wagner-Gala-Auftritt im Erler Festspielhaus sicher sein.
Schier winzig stand Hillebrandt neben dem Pult des Dirigenten Gustav Kuhn. Schon als er zum großen Monolog des „Holländer“ ansetzte, um sich seiner durchaus noch präsenten Ausdrucksmittel für eine der traumhaftesten Wagner-Partien zu vergewissern, wollte man intervenieren: Stellt den Mann doch auf ein Podest! Auch für die kurze Amfortas-Klage „Ja! Wehe! Wehe!“ und für Hans Sachsens „Flieder-Monolog“ und Festwiesen-Ansprache blieb Hillebrandt in seiner – jedenfalls in den vordersten Reihen so wahrgenommenen – „Versenkung“. Was der herzlichen, bis zu Ovationen im Stehen gesteigerten Zustimmung aus dem voll besetzten Zuschauerraum keinen Abbruch tat.
Wer weiß, ob dieser je von einem derart hohen Prozentsatz geneigt-kritischer Wagner-Ohren erfüllt war wie bei dieser kaum anderthalbstündigen Frühabendveranstaltung, die in der Hauptsache die Kongressteilnehmer des Richard-Wagner-Verbands Innsbruck/Bozen versammelte. Maestro Kuhn führte ihnen voller Stolz, mit Verve und Schmunzeln sowie nobler, klangsatter Wagner-Stilistik sein vor Jugendlichkeit und Frische nur so strotzendes Tiroler Festspiel-Orchester vor, das mit drei „großen Brocken“ – „Holländer“-, „Tannhäuser“- und „Meistersinger“-Ouvertüre – aufwartete und mehr als eine bloße Ahnung davon gab, was es in den kommenden Sommerwochen an Glanz und Glorie über die Tiroler Festspiele Erl zu gießen vermag.
Ihr Präsident Hans Peter Haselsteiner ließ es sich – in etwas zu salopper Attitüde – nicht nehmen, dem Stargast zum 50-jährigen Bühnenjubiläum und den Erler Festspielen zu dessen verdienstvoller Tutoren-Tätigkeit im Rahmen des Sänger-Nachwuchses auf dem Erler Grünen Hügel zu gratulieren. Nicht einen einzigen Flop habe Hillebrandt, ein „Star ohne Allüren“, in seiner beachtlichen weltweiten Sängerkarriere gebaut, wagte Haselsteiner zu behaupten. Er freute sich, den Sohn des Hillebrandt-Lehrers Josef Metternich begrüßen zu können. „Nur die ganz Großen“ – und Metternich gehörte zweifellos zu ihnen – „freuen sich darüber“, so Haselsteiner feinfühlig, „wenn ein junger Sänger so groß wird wie sein Lehrer“.
In der nach dem Konzert vom Autor signierten „nichtamtlichen“ Autobiografie kann auf Seite 77 nachgelesen werden, wie es zu Hillebrandts erstem Erler Engagement gekommen war. „Herr Gustav Kuhn“ habe damals angerufen, „der bei seinen Tiroler Festspielen in Erl dringend einen Hans Sachs brauchte“ – für Hillebrandt die 13. „Meistersinger“-Inszenierung seiner Laufbahn.