Tiroler Festspiele

20 Jahre „kostbare Verrücktheit“

von Redaktion

Das Festival in Erl wurde mit europapolitischen Aussagen eröffnet

Erl – Die 20. Tiroler Festspiele Erl wurden mit zwei Symphonien eröffnet, die Großbritannien als Bezugspunkt und damit auch eine europapolitische Aussage hatten: Geplant wurde dieses Programm vor zwei Jahren, als der Brexit beschlossen wurde. Und dieses Europa-Thema zog sich durch alle drei Eröffnungsreden: Hans Peter Haselsteiner, der Festspiel-Präsident, bekannte sich leidenschaftlich zu einem Europa ohne nationale Engstirnigkeiten, beklagte eine Europafeindlichkeit der österreichischen Regierungspartei und forderte das „Gebot der Menschlichkeit“ bei der Umsetzung der jüngsten Asylbeschlüsse, wofür alle hier in Erl „Kraft und Motivation tanken“ könnten. Auch der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter erklärte sich „gegen nationale Alleingänge und neues Hochziehen von Grenzbalken“.

Das zweite Thema war die anhaltende „hasserfüllte Social-Media-Kampagne“, wie sie Haselsteiner nannte: Den Festspielen und insbesondere dessen künstlerischem Leiter Gustav Kuhn werden von einem Blogger Minderbezahlung, Übergriffe des Dirigenten bis hin zur Nötigung vorgeworfen. „Für Gewalt an Frauen ist in diesem Haus kein Platz!“, konstatierte Haselsteiner energisch, und weiter: „Aber auch nicht für Ehrabschneidung und Verleumdung!“ Der „ultimative Pranger der sozialen Medien“ sei schlimmer als der mittelalterliche Pranger. Sarkastisch meinte Haselsteiner, die Tiroler Festspiele Erl seien mittlerweile „die meist- und bestgeprüften Festspiele“. Und auch der Landeshauptmann verkündete: „Hier duckt man sich nicht weg!“

Höflich hatte der Tiroler Landeshauptmann einem deutschen Ex-Bundespräsidenten die offizielle Eröffnungsrede überlassen: Dr. Horst Köhler, eifriger Besucher der Festspiele, die ja nahe seinem Sommersitz in Unterwössen stattfinden. Köhler beschwor den „Zauber von Erl“ und meinte, Hochkultur müsse nicht immer nur in Städten stattfinden: „Das Echo der Alpen klingt anders als der Hall der Städte!“ Er apostrophierte die Gründung der Festspiele vor 20 Jahren als eine „kostbare Verrücktheit“.

Doch nun zur Musik: Die erste gespielte Symphonie stammte von Cyril Meir Scott (1879 bis 1970), der nicht nur Komponist, sondern auch Dichter, Philosoph und Okkultist war und als schillernde Persönlichkeit gilt. Seine 1. Symphonie in G-Dur ist allerdings nichts weniger als schillernd, allenfalls schimmernd. Sie ist so aufregend wie eine Tasse englischen Tees, der lange gezogen hat, aber eher wie fein-milder Darjeeling, weniger wie starker rassiger Assam. Im Gedächtnis bleibt ein hübsches Harfen-Flöte-Intermezzo im 3. Satz.

Gustav Kuhn, Erls künstlerischer Leiter, wird im Jahr 2020 aufhören. Für junge Dirigenten hatte er schon immer ein Faible. Für die vier Sätze der Symphonie ließ er vier Dirigenten aufmarschieren: Die Israelin Bar Avni dirigierte sehr exakt, gut vorbereitet und die Einsätze gut vorbereitend, der Koreaner Beomsek Yi punktete mit souveräner Ausstrahlung, den dritten Satz leitete präzise Andreas Leistner, den letzten Satz der Österreicher Patrick Hahn. An ihm hat Gustav Kuhn sein Wohlgefallen. Hahn hat Präsenz und Ausstrahlung, Umsicht und Präzision. Er könnte und sollte in Erl eine wichtige Rolle spielen.

Ganz ohne Reden erklang dann die Schottische Symphonie von Felix Mendelssohn Bartholdy, diesmal dirigiert ganz allein von Gustav Kuhn. Der ließ diese Symphonie ohne Zwischenpausen abrollen, so dass sie, mit der balladesk dunkel-raunenden Einleitung, die auch das Ende bildet, eine geschlossene Erzählung bildet wie eine Heldensage. Und wie in einer Sage wechselten stürmisch aufbrausende Passagen sich ab mit elegisch schwelgenden, die das an allen Pulten hervorragend besetzte Orchester der Tiroler Festspiele Erl in luzidester Durchhörbarkeit und mit großer Leidenschaft gestaltete.

Vor allem die Celli glänzten mit sonorer und elastischer Kompaktheit. Stürmisch bewegt und geradezu straff jubelnd gelang der zweite Satz, wie ein innig gesungenes, quellend melodisches Lied ohne Worte das Adagio und rhythmisch mitreißend das Finale.

Die Ovationen am Schluss galten vor allem Gustav Kuhn und wirkten wie eine trotzige Solidaritätsbekundung mit dem Schöpfer dieser „kostbaren Verrücktheit“.

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