„Kunst aktuell“

Mensch, Natur und Raum

von Redaktion

Jahresausstellung des Rosenheimer Kunstvereins in der Städtischen Galerie

Rosenheim – Für seine Jahresausstellung „Kunst aktuell“ erhebt der Rosenheimer Kunstverein den Anspruch, einen Überblick über die zeitgenössische Kunstszene zu geben. In der diesjährigen Zusammenstellung ist dies besonders gut geglückt. 254 Künstler haben sich beworben, 74 können sich mit ihren Arbeiten in der Städtischen Galerie präsentieren. Herausgekommen ist eine erfrischende und abwechslungsreiche Schau, bei der die etablierten heimischen Künstler nicht fehlen, aber zugleich viele junge Kunstschaffende zu sehen sind – mit tiefsinnigen wie auch humorvollen Arbeiten, sehr schön in Szene gesetzt von Fried Stammberger und Dieter Krelle. Die Jury, bestehend aus Michael Bednarik, Christian Heß, Elisabeth Opperer, Bernhard Paul und Almut Wörle-Russ, hat geschickt die Gefahr vermieden, eine Selbstbeschau der regionalen Kunstszene zusammenzustellen,

Auch wenn die Malerei rein zahlenmäßig dominiert, ist ebenfalls eine ganze Reihe von interessanten Skulpturen und Installationen zu sehen, einige fotografische Arbeiten – darunter auch ein Leuchtkasten („Füchschen“ von Peter Reill) –, eine Videoprojektion und ein ebenso amüsanter wie tiefsinniger Objekttisch – doch dazu später mehr.

Thematisch dominiert die Auseinandersetzung mit Mensch und Natur. Das zeigt sich gleich im ersten Saal. Dort lenkt das großformatige dunkle Bild „Hucho Hucho“ von Rüdiger Lange die Blicke auf sich. Es zeigt einen im Lech schwimmenden Huchen, ausgeführt mit großem malerischen Können: Die vom Tageslicht grünlich leuchtende Wasseroberfläche, das im Fluss gleichsam versickernde Licht, der dunkle Untergrund und dazwischen der schwebende, fast weißlich leuchtende Fisch. Wie ein Bote aus dem Jenseits erscheint der Vertreter dieser vom Aussterben bedrohten Art.

Daneben kommen die Arbeiten von Christian Heß, einem am Simssee lebenden Holzbildhauer, fast unscheinbar daher, obwohl die Sorge um die Welt auch sein Thema ist. Mit Feder und roter Tusche gezeichnet sind die dünnen, zart anmutenden, ineinander verschlungenen Formen, die sich die Ränder von ansonst weißem Büttenpapier emporschlängeln und an DNA-Stränge erinnern. Die drei Zeichnungen tragen den Titel „Die Säulen der Erde“ und mahnen an die Zerbrechlichkeit des Lebens.

Ebenfalls noch im ersten Raum: Rudolf Wolfbeisser mit „diese alte Geschichte“. In Farbfetzen auf dunklem Hintergrund (Mischtechnik auf Kunstfolie“) lassen sich die Umrisse zweier Personen erahnen. Geht es um eine Liebe, die noch nicht vergangen ist, um einen Streit, der noch immer nachweht?

Peter Tomschiczeks archaische Motive

Peter Tomschiczek ist mit zwei großformatigen, energetisch-aufgeladenen Bildern mit seinen archaischen Motiven („Bilder vom Meer“, „Gatterweg“) dabei. Peter Pohl geht weiter auf seinem Weg, sich in akribischer Arbeit den kleinsten Lebewesen zu nähern. Bei seiner „Entomologischen Malerei“ sind versteinerte Lebewesen auf einer Leinwand eingearbeitet, die wie eine verwitterte Granitplatte erscheint: Zeugnis längst nicht mehr existierender Lebewesen – und Mahnung an die Gegenwart?

Harmlos kommen sie daher, die wie Fotos anmutenden menschenfreien und bewegungslosen Bilder von Gerhard Prokop, die er detailreich nach Fotografien in Öl auf Leinwand ausführt. Doch beziehungsreich ist die Wahl seines Motives für „Vittime Innocenti della Ciminalita“: Porträtbilder der unschuldigen Opfer der Kriminalität sind als Mahnung an der Außenseite eines italienischen Palazzos angebracht. Doch die Fassade des Gebäudes, das gerade renoviert wird, ist verhangen. Seine Pracht lässt sich nur erahnen anhand der Fassadenzeichnung auf der vorgehängten Plane. Aus einem Fenster der Baustelle wehen die Flaggen von Italien und der EU, als Sinnbilder eines hilflosen Staates, während ein Reiterstandbild in Feldherrnpose auf die Fotos der Opfer zu blicken scheint.

Peter Weigel ist mit pastellfarbenen Ringen, die lose auf heller Leinwand verteilt sind, vertreten. Michael Bednarik zeigt mit die „Natur der Dinge“ die beiden einzigen Drucke der Ausstellung, eine Anspielung auf das gleichnamige Lehrgedicht des römischen Dichters und Philosophen Lukrez. Melanie Siegel aus München hat das Phänomen der Drohnenfotos mit einer kleinformatigen Serie von Ölbildern ins Malerische übersetzt. Dächer und geometrisch anmutende Tennisplätze und Fußballfelder haben es ihr angetan. Sie interessiert sich für Strukturen, doch immer wieder wuchert die Natur oder Schattenwürfe in die makellosen Linien.

Die gestickten „Luftballontiere“ – eine großformatige Arbeit auf Nesselstoff von Beate Oehmann – erinnern weniger an Volksfeste als vielmehr an archaische Höhlenmalereien. Interessant sind auch die beiden Bilder „Panta Rhei Muc“ von Devaney Claro de Souza. Rechteckige Farbflächen in Rot- und Blautönen auf Leinwand, davorgespannt mit Acrylfarben eingetönte Baumwollfäden: Malerei, die den Schritt aus der Zweidimensionalität in den Raum macht.

Der Raum, das ist das künstlerische Thema, mit dem sich Dörte Behn auseinandersetzt, die parallel mit Arbeiten in einer Ausstellung in den Räumen des Kunstvereins in der Klepperstraße zu sehen ist. In der Städtischen Galerie ist sie mit zwei vieleckigen Objekten aus Graupappe dabei.

„Mentale Rotation“ hat der in Kiefersfelden lebende Bildhauer Toni Stegmayer seine Skulptur genannt: Eine abgebrochene Steinstele präsentiert ihre rauen Bruchflächen. Doch dort, wo die Bruchstücke neu aufeinander zu liegen kommen, zeigt sich dem Betrachter eine makellose Fuge. Das Zerbrochene ist nicht etwa zerstört, es fügt sich vielmehr zu etwas Neuem. Bemerkenswert ist auch die Skulptur „Die Macht der Bilder“ von Hubert Maier, einem in Grafing und Schweden lebenden Bildhauer. Die schroffe Form eines Berges ist im Rahmen eines Filmdias aus grauem Stein gleichsam gefangen – und sperrt sich zugleich dagegen in seiner Urwüchsigkeit.

Inge Regnat-Ulner zeigt eine blaulackierte mehrgliedrigen Stahlskulptur „Di-Delta“, in der Rahmen die festen Formen wie Schatten nachzuzeichnen scheinen.

Einen ursprünglichen Werbespruch, der zur Gesundheitsweisheit geworden ist, greift die in Neubeuern lebende Bildhauerin Regina Marmaglion auf. „An Apple a day“ heißt ihre Installation, für die sie genau 365 hölzerne Äpfel in unterschiedlichen Brauntöne geschnitzt hat.

„Im Schlaraffenland“ hat Tanja Fender aus München ihre Installation betitelt: Drei weiße Ratten samt rosafarbenen Schwänzen haben ihre fressmüden Häupter auf einen Donut mit rosafarbener Zuckerglasur gebettet – und halten sich die vollen Wänste, die Gesichter ausdrucksstark gestaltet. Ebenso witzig wie politisch thematisiert die Arbeit unsere Wohlstandsgesellschaft. In einer zweiten Installation ruht eine Ratte, alle Viere entspannt von sich gestreckt in einem Rettungsring – bemerkenswert die Diskrepanz zwischen Haltung und Ort. Ungewöhnlich ist das verwendete Material: Fieberglas. Die kunstvolle Bearbeitung des harten Materials lässt das Fell der Ratten fast kuschlig wirken.

Offen für vielfältige Interpretation ist die Installation von Samuel Rachl, der mit dem Kunstpreis 2018 bedacht wurde. Ein Bild auf dem Striche zwei Personen andeuten und eine rosafarbene Fläche. Daneben an der Wand das Wort „sofort“. Davor eine graue Plastikbox mit vier Stahlscheiben als Rädern, darauf stehen sich zwei Sessel aus silberfarbenem Metall gegenüber. Ein Kunstwerk, das sich gegen jede feste Deutung sperrt und wie ein völlig offener Resonanzboden wirkt.

„Solange“

es tropft

Unentweg tropft es in der Videoprojektion „solange“ von Stefan Duttenhofer. 16 Bilder lassen beobachten, wie sich an einem Wasserhahn ein Tropfen formt, sich verdunkelt, vom Hahn löst und im Fallen immer schmaler und heller wird, bevor er im Nichts des Bildschirms zu verschwinden scheint. Der Betrachter fragt sich, wo die Pfütze bleibt.

Ebenso tiefsinnig wie amüsant ist schließlich das anfangs angesprochene Objekt „Zeitkonservierung“ von Fabian Vogl aus München. Er hat das, was sich in unser aller Jackentaschen und Brieftaschenfächer ansammelt, in Kunst verwandelt: Schwarze Herrenportemonnaies sind auf einer Tischplatte angeordnet, alle über und über vollgestopft mit den Zeugnissen des Alltags: Zugtickets und Supermarktrechnungen, Bahncards und Gesundheitskarten, Notizzettel und Ausweisdokumente. Analoge Spuren des Lebens an sich und des Alltags des Künstlers im Speziellen: eine schöne Abwechslung zum allgegenwärtigen Thema des Digitalen.

Zu sehen bis 29. Juli in der Städtischen Galerie Rosenheim, Dienstag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag von 13 bis 17 Uhr.

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