Chiemsee – Die Herrenchiemsee Festspiele endeten ganz zum Schluss mit einer Reverenz an ihren jüngst verstorbenen Gründer und Intendanten Enoch zu Guttenberg: Nach dem Konzert versammelten sich vor der Freitreppe alle Livrierten um das Bild von Guttenberg mit dem Trauerflor, das vorher im Treppenhaus gestanden und alle Besucher begrüßt hatte. Vier Alphornbläser, die sonst immer die Konzertpausen bespielt hatten, spielten getragene Weisen: ein Abschied mit Alphörnern, ein Abschied von Enoch zu Guttenberg und ein Abschied von den heurigen Festspielen – und kein Abschied von künftigen Festspielen, hofften die Besucher.
Vorher gab’s Beethovens 9. Symphonie mit der „Ode an die Freude“. An diesem Tag hätte Enoch zu Guttenberg seinen 72. Geburtstag gefeiert, er hatte sich diese Ode selbst mit seinem Chor und seinem Orchester, der „Klangverwaltung“ als Geburtstagsstanderl schenken wollen. Nun stand Roberto Abbado auf dem Pult.
Bei aller dirigentischen Routine des italienischen Musikers dachte man doch immer an Guttenbergs ekstatische Interpretation. Gewiss, das Orchester machte seine Sache (mehr oder minder) gut, die Noten stimmten: aber ohne jene Welterschaffungsmystik mit zuckenden Blitzen der Geigen am Beginn, ohne den spirituellen Schimmer, ohne die entfesselte Guttenberg’sche Urgewalt, nur der – überhaupt – hervorragende Pauker entfachte krachend-göttlichen Kreationsdonner.
Doch dann im Finale mit der Ode an die Freude brach’s hervor: wieder die Großes ankündigende Pauke, dann die aus dem Nichts kommende vorsichtige Intonation des Freudenthemas in den Celli, das sich dann zum Freuden-Triumphmarsch aufwuchtete. Fast meinte man, Abbado, der gerne Opern dirigiert, fühle sich im opernhaften Finale erst recht wohl.
Weithin schallend mit Verkündigungsfuror sang der Bassist Yorck Felix Speer: „Freunde, nicht diese Töne!“, der Tenor Werner Güra stimmte „freudig wie ein Held zum Siegen“ stimmstark ein, Susanne Bernhard ließ ihren Sopran wie einen Flügelschlag noch darüber schweben. Jetzt war Feuer unterm Dach, vor allem, als der Chor loslegte und in einen freudetrunken-volltönenden Jubel ausbrach. Die Männer schenkten mit überwältigender Stentorkraft und Weltumarmungspathos „diesen Kuss der ganzen Welt“. Nur als die Chorsänger konstatieren mussten, „überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen“, musste man wieder an Guttenberg denken, der dieser Stelle seine ganze verzweifelte Glaubenssehnsucht verlieh und den Chor singen ließ, dass doch hoffentlich ein lieber Vater wohnen müsse, als würde diese zweifelnde Forderung durch inbrünstigen Gesang überirdische Gewissheit.
Aber Beethovens Musik triumphierte auch diesmal, die Zuhörer im völlig ausverkauften Spiegelsaal feierten Orchester, Solisten, vor allem den Chor und auch den Dirigenten mit nicht enden wollenden Ovationen und dem Wunsch, den anfangs auch Josef Kröner, der geschäftsführende Programmdirektor, ausgesprochen hatte: „Ich hoffe, wir sehen uns nächstes Jahr wieder!“. Auch ohne Enoch zu Guttenberg.