Tragikkomödie

Im Labyrinth der Identitäten

von Redaktion

Was macht den Menschen aus? Heinrich von Kleists „Amphitryon“ im Theater am Markt-Ost

Rosenheim –Mit einem geschickten Kniff lässt Regisseur Stefan Vincent Schmidt im Tam-Ost seine Inszenierung von Heinrich von Kleists „Amphitryon“ beginnen: Er leiht sich den Prolog aus Molières gleichnamiger Komödie. Nicht nur, dass das Zwiegespräch zwischen Götterbote Merkur (Klaus Einsele) und der Göttin der Nacht (Daniela Mayer) ein ebenso vergnüglicher wie eleganter Schlagabtausch ist, es weist dem in antiker Mythologie vielleicht nicht bewandertem Zuschauer einen Pfad durch die Handlung: Es geht um eine Ehebruchsgeschichte als Verwechslungskomödie.

Alkmene erwartet die Rückkehr ihres Gatten Amphitryon, des siegreichen Feldherren der Thebaner. Doch in der Nacht vor dessen Ankunft schleicht sich Göttervater Jupiter in Gestalt Amphitryons in Alkmenes Schlafgemach. Als Alkmene am nächsten Morgen ihrem tatsächlich heimgekehrten Gatten von der vermeintlich gemeinsamen Liebesnacht erzählt, fühlt der sich von seiner Frau betrogen.

Ähnliches widerfährt Sosias, dem Diener des Amphitryon. Ihm raubt Merkur die Identität. Zwar verführt der Götterbote in Gestalt von Sosias nicht dessen Frau Charis, bringt sie aber durch sein beleidigendes Verhalten so auf, dass sie ihrem Mann die Hörner aufsetzen will.

Das komödiantische Zentrum des Stücks bildet der köstliche Schlagabtausch zwischen Sosias (Klaus Schöberl, herrlich einfältig) und Merkur (Klaus Einsele, überzeugend grausam-schlitzohrig). Gabriela Schmidt ist nicht die keifende Gattin, sondern eine empfindsame Charis, pendelnd zwischen einfühlsamer Dienerin und verzweifelnd an ihrem Klotz von Ehemann.

Das ist lustig und vergnüglich. Doch Kleist geht weit über Molière hinaus und stellt die Frage: Was bleibt vom Menschen, nimmt man ihm seinen Namen, die Liebe, die ihm entgegengebracht wird, seine Stellung in der Gesellschaft? Während sich Sosias bauernschlau in sein Schicksal fügt, kann sein Herr Amphitryon dies nicht. Oliver Schmid geht glaubwürdig den Weg von Verwunderung über Unglauben und bis zur Verzweiflung, als seine Frau ihn bei der Gegenüberstellung mit Jupiter nicht erkennt. Sabine Herrberg spielt eindrucksvoll diese Alkmene, wandelnd auf dem Grat zwischen tugendhafter Gattin und verführerischer Geliebter.

Jupiter ist die wohl vielschichtigste Figur: Von Langeweile getrieben, sucht er das erotische Abenteuer. Großspurig und charmant ist da Helmut Huber als verführerischer Göttervater. Doch er will mehr als eine Liebesnacht: Er möchte geliebt werden. Doch Alkmenes Liebe gilt ja nicht ihm, Jupiter, sondern ihrem Ehemann, dessen Gestalt Jupiter angenommen hat. Ein Zwiespalt, dem auch der Göttliche nicht entkommt. Und so steht Helmut Huber schließlich auf der Bühne und winselt um die Liebe der Frau. Doch letztlich zieht er kaltlächelnd das göttlich-grausame Spiel durch. Am Schluss, so viel sei verraten, löst sich alles auf, jeder ist wieder er selbst. Doch nichts ist gut: Zurück bleiben Menschen, die in ihrer Selbstgewissheit bis ins Mark erschüttert sind.

Das Ensemble des Tam-Ost kommt mit einem äußerst reduzierten Bühnenbild (Stefan Vincent Schmid) aus: ein roter Teppich, eine Palasttür, eine umgestürzte Säule und eine Säule aus herabhängenden Fäden – und setzt mit Erfolg auf seine schauspielerische Stärke. In den komödiantischen Passagen funkeln die Kleist‘schen Dialoge wie in einer Screwball-Komödie, in den tragischen Momenten teilt man die Verzweiflung der Figuren. Die Zuschauer dankten für einen unterhaltsamen wie klugen Theaterabend mit langem Applaus.

Weitere Vorstellungen sind an den Freitagen und Samstagen bis 20. Oktober (außer 5. Oktober), jeweils um 20 Uhr, sowie an den Sonntagen bis 21. Oktober, jeweils um 17 Uhr. Kartenreservierung unter Telefon 08031/234180 oder www.tam-ost.de.

Artikel 4 von 10