Jedermann im 21. Jahrhundert

von Redaktion

Gastspiel der Münchner Zerboni Schauspielschule am Theater Wasserburg

Wasserburg – In eine zeitgenössische Version verwandelte die Zerboni-Schauspielschule am Theater Wasserburg die Jedermann-Inszenierung, das berühmte Spiel vom Sterben des reichen Mannes. Regie und Schauspiel fanden dabei genau die richtige Balance zwischen Unterhaltung und Betroffenheit, die auch dem spirituellen Charakter von Hugo von Hofmannsthals zeitlosem Mysterienspiel Rechnung trug.

Es gibt den „Jedermann“ in zahlreichen Varianten, auf bayerisch, hessisch oder hanseatisch, spätmittelalterlich, barock und auch modern. Unverändert aber ist seit über einem Jahrhundert die Vanitas-Symbolik in einem Stück, das die Phantasie beflügelt und an die Vergänglichkeit des Lebens und aller irdischen Güter mahnt.

Denn Gott sieht, dass er auf Erden nicht mehr geschätzt wird. Er schickt den Tod, um die Menschen wieder an seine Macht zu erinnern. Der macht sich auf, um den ungläubigen und dem Mammon verfallenen Jedermann vor das göttliche Gericht zu rufen. Aber Jedermann sträubt sich und erbittet eine Stunde Aufschub, um jemanden zu finden, der ihn begleitet. Doch weder die ihm sonst treu Ergebenen noch sein Geld wollen mit ins Grab. Erst der Auftritt seiner Werke und des Glaubens läutern Jedermann. Er bekennt sich als Christ und nimmt reumütig bekehrt sein Schicksal an. Seine Seele aber wird durch Gottes Gnade dem Teufel entrissen, so zumindest das von Hofmannsthalsche Original.

Regisseurin Lea Ralfs hat die Parabel auf die Vergänglichkeit für die Meisterklasse der Zerboni-Schauspielschule inszeniert und dazu Jedermann und sein Gefolge in die Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts versetzt. Dort bestimmten Investments und Börsenkurse auf dem Smartphone das Leben der Akteure. Ihr Jedermann war ein koksender „Big Player“ auf der Überholspur des Lebens, als Geschäftsmann cool, rücksichtslos, aber durchaus auch sympathisch. Letzteres lag an den besonderen Leistungen von Darsteller Armin Stieber, der übrigens wie das gesamte Zerboni-Ensemble überzeugen konnte. Als Beraterin stand ihm mit Marina Ziora eine personifizierte „Alexa“ zur Seite. Wie Amazons Wunderlautsprecher musste auch die „Jedermann-Alexa“ trotz künstlicher Intelligenz bei komplexeren Aufgaben passen, ob es nun um ein Festmahl ging oder den Umgang mit dem Schuldknecht, gespielt von Manuel Kandler. Der hatte sich beim Kauf von Bitcoins gehörig verspekuliert. Schließlich kam der Tod, gespielt von Carolin Klema, und rief nach Jedermann, der allmählich erkannte, dass all sein Hab und Gut im Jenseits wertlos ist. Alle seine Wegbegleiter, der dicke wie der dünne Vetter (Julia Trautvetter und Antonia Lunemann), der Nachbar (Manuel Nawrot), die Buhlschaft (Rena Glück) und sogar die Schwester (Magdalena Müller) machten sich davon. Auch die Köchin (Maria Fiona Jung) und der Mammon weigerten sich, Jedermann auf seiner letzten Reise zu begleiten. Und sein engster Vertrauter und Gesell, dargestellt von Josef Schröttle, hatte ebenfalls keine Lust, mit Jedermann vors göttliche Gericht zu treten.

Dem modernen Jedermann blieb allerdings dasselbe Schicksal wie seinem barocken Pendant in der Urfassung vorerst erspart. Denn der Teufel (Marysol Barber-Llorente) und der Liebe Gott (Jonas Stenzel) fühlten sich zueinander derart hingezogen, dass sie darüber den Jedermann vergaßen. Dessen Beziehungskrise mit seiner Buhlschaft war allerdings nicht mehr zu retten, nachdem Jedermann vorher ein Auge auf die Frau des Schuldknechts (Clara Hoffmeister) geworfen hatte. Jedermann wurde von ihr verlassen und blieb verzweifelt und allein zurück. Auch Einsamkeit kann so zur Hölle werden.

Artikel 4 von 6