Rosenheim – Das Theater ist sein Leben, so sagt man gerne über Bühnenkünstler. Wenn dieser Satz auf jemanden zutrifft, ist es zweifellos Toni Müller. Ohne ihn sähe die Rosenheimer Kultur- und Theaterszene heute sicher anders – und ärmer – aus. 1992 hat die Stadt Rosenheim den gebürtigen Aiblinger dafür mit ihrem Kulturpreis geehrt. Heute feiert der Theatermacher und Regisseur seinen 75. Geburtstag.
Herr Müller, wie sind Sie eigentlich nach Rosenheim gekommen?
Das war ganz komisch. Mein Schwager war 1982 Oberpfadfinder in Christkönig und die Pfadfinder haben jemanden gesucht, der Italienisch spricht, um sie auf eine Fahrt nach Sizilien zu begleiten. Ich hatte Regieassistent an der Kölner Oper gelernt und arbeitete gerade in Mannheim am Theater. Die Pfadfinder haben auf der Fahrt in einem antiken Theater ihre Pfadfinder-Stücke gespielt. Als wir wieder daheim waren, haben sie mich überredet, mit ihnen Theater zu machen. Ich bin dann alle 14 Tage am Wochenende nach Rosenheim gependelt und wir haben Schillers „Die Räuber“ einstudiert. Die Premiere war im Schulhof in Aising, weil wir da am wenigsten gestört haben. So ist es damals losgegangen. Ich hätte damals am Nationaltheater in Mannheim die Position des Spielleiters übernehmen können, aber ich habe mich nicht getraut. Und so bin ich schließlich nach Rosenheim gekommen. Bei den „Räubern“ hab ich dann zum ersten Mal den Satz gehört, der mich die ganzen Jahre über in Rosenheim begleitet hat: „So was geht in Rosenheim nicht.“ Das hat mich immer an der Stadt gestört: Dass sie sich in Sachen Kultur so klein macht und den jungen Leuten so wenig Möglichkeiten bietet. So verliert sie gute Leute an andere Städte.
Sie sind als Theatermacher in Rosenheim buchstäblich auf Wanderschaft gegangen…
Ja, es gab die Vaganten, wir haben das Theater am Markt gegründet, bis es dort zum Zerwürfnis kam, und es gab Müllers Wandertheater. Ich habe in der Stadthalle inszeniert, bis die zu teuer geworden ist, in der Aula des Ignaz-Günther-Gymnasiums, aber das war auch zu kompliziert, und in Marias Kino in Bad Endorf. Zu einer Heimat ist mir schließlich der Lokschuppen geworden. Da habe ich wahnsinnig viel gemacht, auch Kindertheater mit dem Stadtjugendring. 2003 hat sich dann die Möglichkeit auf dem ehemaligen Fruga-Gelände in der Innstraße ergeben und ich gründete dort die Theaterinsel.
Zwischenzeitlich hatten Sie Rosenheim auch mal verlassen?!
Ich bin nach Köln an ein Privattheater gegangen, das zwei Monate später pleite war. Das war aber wirklich nicht meine Schuld (lacht). Der Finanzvorstand war spielsüchtig und hat das ganze Geld verzockt.
Sie haben in Rosenheim so richtig klassisches Theater inszeniert…
Ich habe in Rosenheim alles gemacht, was ein festes Stadttheater mit einem Etat von zwei, drei Millionen Euro Etat machen würde. Wir haben Klassiker gespielt, Modernes, absurdes Theater und auch Uraufführungen. Ich glaube, es gibt fast keinen bekannten Autor der Weltliteratur, den ich hier nicht inszeniert habe.
Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Ich habe im Lauf der Zeit meinen Stil gefunden – und der hat den Leuten gefallen. Mein Vorteil ist, dass ich in Köln Theater zu einer Zeit gelernt habe, als dort noch die alten Inszenierungen gespielt wurden. Das war ein Theater, das mit wenig finanziellen Mitteln auskam. Und ich habe viel mit osteuropäischen Regisseuren gearbeitet. Da habe ich mitbekommen, wie man ein armes Theater macht. Für mich war immer das Stück als solches wichtig. Mir ist der Text heilig und es geht darum, den Text auf die Bühne zu bringen.
Würden Sie sich als altmodischen Regisseur bezeichnen?
Nein, altmodisch nicht. Ich habe immer versucht, neue Wege zu finden, aber ich bin ein der Tradition verhafteter Regisseur. Mir geht es darum, das Stück nicht zu verraten. Im Nachhinein bin ich eigentlich froh, dass es so gelaufen ist, wie es gelaufen ist. Ich wäre todunglücklich, wenn ich an einem großen Theater das Stück verraten müsste, nur um mich zu profilieren. In dieser Situation ist das Theater heute doch. Ich habe mich nie als Künstler gefühlt. Dafür fehlt mir wahrscheinlich eine bestimmte Radikalität. Ich arbeite handwerklich, ehrlich und sauber, da bin ich wie ein Tischler. Als Regisseur ist man ja immer der Diener des Autors und des Ensembles.
Sie arbeiten vor allem mit Laienschauspielern und haben viele Schauspielkurse gegeben. Ist das ein besonderes Arbeiten?
Menschen, die auf die Bühne wollen, sind ja nicht die einfachsten Leute. Es sind Menschen, die ein Problem in sich haben, das sie lösen wollen. Ich habe neulich zu meinen Schauspielern gesagt: Wir kümmern uns darum, uns innerlich zu befreien und wenn dabei Kunst herauskommt, schadet das nicht. Die großen dramatischen Texte sind ja immer Freiheitsschreie von Individuen. Das Ziel ist immer, uns innerlich zu freieren Menschen zu machen und Einengungen und Beängstigungen hinter uns zu lassen. Für mich selbst ist mir das gelungen, darum bin ich auch zufrieden.
Wie geht es Ihnen heute?
Ich habe nie viel verdient. Das einzige Ziel, das ich habe, ist, mit einer Vorstellung so viel zu verdienen, um die nächste Vorstellung machen zu können. Ich bekomme jetzt eine Rente, die vorne und hinten nicht reicht. Aber ich bin zufrieden, trotz aller Widrigkeiten in meinem Leben. Ich bekomme Wertschätzung und auch Hilfe, wenn ich sie brauche, und habe deshalb auch keine existenziellen Ängste. Das mit der Gesundheit muss man halt so nehmen, wie es ist.
Was ist Ihr nächstes Projekt?
Im Augenblick proben wir gerade Calderons „Dame Kobold“. In dem Stück wird die Liebe radikal durchdiskutiert. Mit jungen Leuten so ein Stück zu machen, ist schwer. Aber wir arbeiten mit Leidenschaft und Begeisterung. Im Mai ist Premiere. Interview: Klaus Kuhn