Schön war die Bergtour auf die Hohe Asten und den Riesenkopf. Schon nähert sich die Gruppe beim Abstieg der Burgruine Falkenstein, als die Elisabeth einen Vorschlag macht: „Wos moants ees? Iatz roasma noo gon Waller auf a Boisei!“ Zustimmung allenthalben, nur die Münchnerin Bettina schaut fragend. Die Michaela lächelt und erklärt: „Der Waller is a Wirtschaft z Reisach bei Niederaudorf. Do gibt’s dees guade Weißbier vo da Brauerei Bois – Bals.“
Aber nicht nur die Parkplätze, sondern auch die Sitzplätze drin in der Wirtsstubn sind überfüllt. Doch der Gastwirt winkt die Gruppe an den Stammtisch heran. Und die Bettina ist regelrecht hingerissen vom Ambiente und der Atmosphäre, was dem Gastwirt natürlich nicht entgangen ist. Bereitwillig gibt er auf viele Fragen Auskunft:
„Die Ortschaft Reisach hod 1738 noo Reisath, ned Reisach, ghoassn. A Reisath und aa (auch) a Reisach bedeidd ‚Ansammlung von Reisern, Laubgehölz‘. Denn“ – der Wirt bleibt bei der Erklärung kurz im Standarddeutschen – „die Nachsilben -ath und -ach bezeichnen das dichte Beisammenstehen gleichartiger Dinge. So steht’s beim Meixner Hans in seim Biahi (Büchlein) ‚Die Ortsnamen der Gegend um Rosenheim‘.“
Dem Rudi fallen dazu Erlach, gesprochen Irla, und Steinach, gesprochen Schdoana, ein, wo es wohl besonders viele Erlen beziehungsweise Steine gab. Der Wirt nickt zustimmend und fragt in die Runde: „Wer vo engk koo Latein?“ Der Ludwig meldet sich und übersetzt das Zitat „Capella filialis arcis Urfahrn am Reisath“ mit „Filialkapelle der Burg oder des Schlosses Urfahrn am Reisath“. Der Wirt lächelt zustimmend: „Eigentli hamma glei zwoa Schlösser: s oide und s neie. S oide Gschloß Urfahrn vo 1427 steht 100 Medda direkt vor meim Gasthof Richtung I (Inn), s neie Gschloß vo 1727 steht zwischen da Wirtschaft und aam (dem) Glousda (Kloster) Reisa, glei do am (oben)!“. Er deutet in nordwestliche Richtung.
Eine Woche später trifft sich die Gruppe wieder. Die Bettina liefert eine Zusammenfassung ihrer Forschungsergebnisse: Die Ortsbezeichnung Urfahrn ist 1280 zum ersten Mal belegt, und zwar als Uruar, 1298 dann als Urfar. Althochdeutsch urfar, mittelhochdeutsch urvar, beruht auf germanisch u– und später gotisch – sfaran, was zugleich das „Ausfahren“ und „Aussteigen“ bedeutet. Urfahr bezeichnet die Überfahrt über ein Gewässer, aber auch die Überfahrtsstelle und den Landeplatz, ja sogar die Fähre zur Überfahrt, das Überfahrtsrecht und die Überfahrtsgebühr! Kein Wunder also, wenn man liest, die Urfahrer seien Landadelige gewesen: Sie hatten das sicherlich lukrative Recht der Überfahrt über den Inn erworben. Die alte Burg, ehemals ein hoher Wohnturm, seit dem Bau des neuen Schlosses um zwei Stockwerke verkleinert und zum Wohnhaus umgestaltet, konnte sich der erste urkundlich erwähnte Urfahrer Lienhart wohl gut leisten!
Unsere Erzählung liegt schon einige Zeit zurück. Denn: Den „Waller“ gibt’s inzwischen nicht mehr! Der Ortsname Urfahrn dagegen begegnet noch bei Breitbrunn am Chiemsee sowie in den Gemeinden Soyen, Aschau am Inn und Burgkirchen an der Alz. Armin Höfer