Traunstein/Chieming – Ungewöhnliche Orte üben seit jeher einen besonderen Reiz auf Künstler aus. Sie ermöglichen das Spiel mit verschiedenen Bedeutungsebenen und anderen Perspektiven und reizen dazu, Räume durch interaktive Prozesse mit dem Betrachter neu aufzuladen. In besonderer Weise hat der Kunstverein Traunstein vor diesem Hintergrund heuer ins Schwarze getroffen.
Nach vielbeachteten Experimenten im öffentlichen Raum im Traunstein in den beiden letzten Jahren erweitert die Künstlervereinigung mit ihrer offenen Jahresausstellung das Spektrum jetzt erneut: Bis 28. Juli fordern 80 zum Teil von weither angereiste Künstlerinnen und Künstler die Besucher an drei ganz unterschiedlichen Orten unter dem Titel „Feldversuche“ zum Dialog auf: im Landratsamt Traunstein, unter den Arkaden am Traunsteiner Stadtpark und in den Räumen des ehemaligen Edeka-Supermarkts in Chieming.
Der temporär umgewidmete „Kunst-Supermarkt“ am Chiemsee hat es in sich. Die Verdichtung künstlerischer „Feldstudien“ in Einzelräumen tritt dort in ein anregendes Wechselspiel mit sehr bewusst platzierten Kunstwerken in der Erdgeschoss-Halle. Gesellschaftskritische Ansätze sowie ökologische, psychologische, experimentelle oder formale Aspekte regen zur Diskussion an. Massentierhaltung und Genversuche, Flüchtlinge und Kriegsszenerien, Plastikwahn und Müllrecycling sind ebenso wie die Verwerfungen moderner Lebenswelten und die Wa(h)re Kunst ein Thema.
Großes Interesse zog bereits bei der Vernissage Maura Hagens Feldversuch über „Dunkeltierchen und Gelichter“ auf sich. Mit knapp 200 briefmarkengroßen Miniaturzeichnungen in Blei- und Buntstifttechnik, die man sprichwörtlich unter die Lupe nehmen kann, und einem Fragenkatalog tritt die Traunsteinerin mit dem Besucher humorvoll in Dia-log über die Betrachtung von Kunst. Nicht weniger aufwendig nutzen Uli Reiter und Heidi Unger eine Vielzahl von Rinder- und Stall-Fotografien, die sie penibel auf Wand- und Bodenfliesen aufgeklebt haben, zu einer Rauminstallation, die unter die Haut geht. Das Überschreiten der Bilder wird zur Fragestellung, welche Grenzen der Mensch in der Massentierhaltung überschreitet.
Weitreichende Gedanken zum Thema „Kunst und Kapital“ macht sich John Schmitz in seiner Raumin-stallation mit Performance. Indem er – schwarz gewandet mit gelber Leuchtweste – Seiten aus dem Buchklassiker „Das Kapital“ von Karl Marx und Friedrich Engels löst, mit einer Blase bemalt an die Wand heftet und diese schließlich verkauft, verweist er auf die Aktualität kapitalismuskritischer Bewegungen und Sichtweisen.
Während Michael Heider in einer „Feldbestimmung mit sechs Stationen“ dem Daseinszweck von Plastik-flaschen nachspürt, hinterfragt Helmut Mühlbacher in seinen Blumen-Pflanzkästen mit Fliegenklatschen („Pflegeleicht“) auf ironische Weise moderne Anbaumethoden.
Willee Regensburger lässt sich vom chinesischen „I Ging“ zu chromatografischen Studien inspirieren, während Herbert Stahl mit seinen Bildteableaus „Versuch über das Paradies“ und der Rauminstallation mit Bananenblättern und Bam-busstöcken („Trockenraum“) Virtuosität erkennen lässt.