Erl – Die junge Schweizer Pianistin Mélodie Zhao ist der Publikumsliebling der Tiroler Festspiele Erl. Diesmal kam sie mit Freunden, gleich zwölf an der Zahl: Freunde von Mélodie und Freunde der Melodie, denn melodiegeprägt war das gesamte etwas ausufernde Konzert. Zhaos Ziel war, wie sie im Programmheft schrieb, „ein fesselndes klassisches Konzert zu schaffen, bei dem die Sinne ständig von verschiedenen Musiksprachen und Klangstrukturen gefesselt werden, ohne dabei einen Tropfen Tradition zu verlieren“.
Und melodiegeprägt ist natürlich auch Schuberts „Wanderer-Fantasie“, mit der der Abend begann. Explosiv und tiefsinnig zugleich lotete die Pianistin den Zwiespalt zwischen wild-zerrissener Verzweiflung und lyrischer Sehnsucht mit nervös-erregten Begleitfiguren aus, bereitete mit atemloser Spannung das glücksuchende Thema aus dem Lied „Der Wanderer“ vor, das dann in abgrundtief schöner Traurigkeit sich verströmte: „Da, wo du nicht bist, ist das Glück!“ Diese Fantasie ist technisch extrem schwer, deswegen schätzte Franz Liszt sie. Ihre stupende Technik konnte Mélodie Zhao nochmals als Solistin in ihrer Version der „Paganini-Variationen“ demonstrieren, die sie „Variations capricieuses“ nennt: Der (nicht ausverkaufte) Saal applaudierte vehement.
Ihre Musikerfreunde – ausnahmslos begeisterte und hochmusikalische Instrumentalisten – versammelte Mélodie Zhao dann in verschiedenen Ensemble-Variationen: Mit feinem Strich und farbenreichem Ton und Klangschönheit auch noch in hohen Lagen spielte Zéphyrin Rey-Bellet den ersten Satz der „Pieces for cello und piano“ von Nadja Boulanger (1887 bis 1979), zart ätherisch schluchzend und dann kapriziös sprudelnd spielte der Geiger IsakandarWidjaja „Blue Mood and Sparkles“ für Klavier und Violine von Mélodie Zhao.
Musik wie ein Blütenregen und dann aber aggressives Bassgewitter prägen die „Chinese Rhapsody Nr. 2“ des 1949 geborenen chinesischen Komponisten Anlun Huang, die Zhao in ihrem Arrangement mit Bläsern und Schlagzeug erweiterte. Ein Streicherensemble schwelgte spätromantisch-impressionistisch in der – ebenfalls von Zhao arrangierten – „Rhapsodia sinfonica“ von Joaquín Turina (1882 bis 1949), die spanische Folklore-Themen verarbeitet. Rhythmisch entfesselt spielte eine kleine Besetzung auf im „Mambo“ aus der „West Side Story“ von Leonard Bernstein (1918 bis 1990).
Alle zwölf Mélody-Freunde umgaben sie dann in ihrer großen viersätzigen Eigenkomposition „Fantasmagories“, die ein auskomponiertes Gedicht darstellt: aufs Große zielende Breitwandmusik voller sensorischer Reize, durchaus sinnefesselnd und mit vielen Tropfen Tradition. Als Hommage an ihren „Lieblingsorchesterkomponisten“ Anton Bruckner beschloss das von ihr arrangierte Scherzo aus dessen 9. Symphonie den langen Abend.