Belcanto in kleinem Rahmen

von Redaktion

Premiere für Donizettis „Lucia di Lammermoor“ auf Schloss Amerang

Amerang – „Lucia di Lammermoor“ von Gaetano Donizetti (1797 bis 1848), das „Dramma tragico“, die berühmteste „Belcanto“-Oper überhaupt, ist eindringlichste Musik: Die Rache ist blutig, der Wahnsinn tödlich. Die Oper, auch auf Schloß Amerang in Schottland angesiedelt, dreht sich um zwei Adelsfamilien, die sich auf Lebzeiten Feindschaft geschworen haben.

Konkurrenzkampf steht hier aber nicht im Mittelpunkt, vielmehr ist es Lucia. Und Dilay Girgin verstand es, die Premiere der Oper auf Schloß Amerang zu einem Abend voll Belcanto werden zu lassen. Der Inhalt ist schnell erzählt. Unter dem Druck ihres Bruders Enrico Ashton (Nejat Isik Belen) soll Lucia den einflussreichen Arturo (David Newton) heiraten, was die Familie vor dem politischen und finanziellen Ruin bewahren soll. Lucia, längst verliebt und heimlich dem Erzfeind der Familie, Edgardo (Marco Antonio Lozano), aus der verfeindeten Familie der Ravenswood versprochen, ermordet ihren Bräutigam Arturo in der Hochzeitsnacht, verfällt dem Wahnsinn und stirbt. Edgardo folgt ihr.

Dass die Oper einen so mitreißenden und in ihrer emotionalen Wucht überzeugenden Eindruck hinterließ, dafür war maßgeblich Dirigent Stefano Seghedoni mit dem Orchester der Opernfestspiele Schloss Amerang verantwortlich. Klein, aber fein besetzt, bewies das Orchester viel überbordendes Gefühl und viel Kraft: von sanftester Trauer bis zum militärischen Schwung war da alles dabei. Nejat Isik Belen lebte als Enrico seine Rolle, Sylvain Muster als Raimondo, ein Gefolgsmann Enricos, versah seine ambivalente Rolle mit vielfältigen Zwischentönen. Marco Antonio Lozano als Edgardo erreichte erst im dritten Akt die Herzen, davor wirkte er zu gesanglich-angestrengt in seiner Partie als Liebender.

Der Star des Abends aber war Dilay Girgin. Ihre Lucia war emotional differenziert, sanft in den leisen Tönen, klar in den Koloraturen. Der Wahnsinn klang bei ihr wie süße Verzückung, besonders als sie zum Finale der berühmten Arie in den Dialog mit der Flöte (großartig Pamela Bereuter) trat – statt mit der Glasharfe, für die „Lucia di Lammermoor“ berühmt ist.

Für die Oper brauchte es keinen großen Rahmen. Regisseur Ingo Kolonerics nahm den Konzertraum, den Innenhof des Renaissance-Schlosses, als Bühne. Das stets gleichbleibende Bühnenbild eines Säulengangs von Hendrik Müller war unaufdringlich präsent im Hintergrund, die Kostümierung schlicht, selbst das (Theater-)Blut musste man sich vorstellen, aber gut: Lucia di Lammermoor ist Belcanto-Oper, da braucht es keine Schnörkel, keinen Bühnen-Schnick-Schnack, das ist eine Welt großer Emotionen, und die gab es satt in Amerang.

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