Das nackte Leben

von Redaktion

Kammermusikfestival Festivo Fesselnder Auftakt eines Beethoven-Zyklus

Aschau – Keine Musik ist „absolut“. Auch die Tonkunst ist von vielfältigen Einflüssen inspiriert – mehr oder weniger direkt. Sie entsteht eben nicht im abstrakten, luftleeren Raum, sondern schlägt Brücken zu anderen Künsten und erschafft Geisteswelten. Manchmal ist die Musik sogar vom nackten Leben selber gezeichnet. Genau das gilt auch für das Streichquartett, die vermeintlich „absoluteste“ aller Musikgattungen.

Schon in den Quartetten von Haydn oder Mozart wird die intime Sphäre der Kammermusik oft gesprengt – klanglich oder programmatisch. Ganz zu schweigen von Beethoven: Er ist ein Botschaftsmusiker, so auch in seinen Streichquartetten. Bereits im frühen Sechser-Zyklus op. 18 glühen der Idealismus und das kühne Neuerertum. Das offenbarten jetzt die packenden Interpretationen bei Festivo.

Im schmucken Preysingsaal von Schloss Hohenaschau realisierten derzeit Muriel Cantoreggi und Teemu Kupiainen (Violinen) sowie Festivo-Leiter Johannes Erkes (Bratsche) und Floris Mijnders (Cello) alle sechs Werke aus op. 18 – an zwei Abenden. Zum Auftakt gab es die Quartette Nr. 1, 2 und 5. Schon das offizielle Erstlings-Quartett ist eine gewaltige Provokation. Im zweiten Satz wird die Vorstellung einer „absoluten Musik“ vollends über den Haufen geworfen.

Dieses „Adagio affettuoso ed appassionato“ gibt sich hochdramatisch. Ständig wechselt es zwischen schmerzlicher Leidenschaft und desolater Melancholie. Bei Festivo wurden die stillen Zäsuren genauso ausgekostet wie die jähen Ausbrüche und schroffen Kontraste. Die atmosphärisch dichte, dabei überaus differenzierte und intensive Gestaltung machte deutlich, wie sehr diese wortlose Szene auf die Opernbühne will.

Der Stoff dieses Dramas ist das nackte Leben selber. In jeder Note scheint Beethoven sein eigenes Dasein zu befragen, um Grenzen im Ausdruck zu sprengen. Mit einer ähnlichen Ereignisdichte wurden vor der Pause die Streichquartette Nr. 2 und 5 aus op. 18 verlebendigt. Auch hier glänzten die Musiker mit einem Höchstmaß an Differenzierung im Einsatz der Mittel. Alles dreht sich um die Frage der Phrasierung und Artikulation.

Wo Beethoven noch Wiener Klassiker ist, spielte das Festivo-Quartett mit dossiertem Vibrato – historisch informiert. An den Stellen, wo Beethoven bereits die Tür zur Romantik weit aufstößt, ließen sie es satt glühen. Sie legen sich nicht fest, folgen keinem starren Dogma. Genau das ist die Stärke dieser Interpretation, weil sie die ungeheure Freiheit im Denken Beethovens hörbar macht. Mag sein, dass stellenweise die Intonation etwas wackelte, aber: Die Deutung dieses Quartett-Gipfels war ein Hörkrimi.

Artikel 2 von 9