Vom Schneidermeister zum Weinhändler

von Redaktion

Vortrag über Goethes Großvater bei der Goethe-Gesellschaft Rosenheim

Rosenheim – Dass Goethe in seiner Autobiografie „Dichtung und Wahrheit“ mit keinem Wort seinen Großvater erwähnt, ist sonderbar. Friedrich Georg Göthé baute den Grundstock für ein großes Vermögen auf, von dem noch der berühmte Enkel profitierte. Eine kenntnisreiche und lebendige Schilderung der Lebensstationen von Goethes Großvater präsentierte Dr. Joachim Seng, der Leiter der Bibliothek des Freien Deutschen Hochstifts, auf Einladung der Goethe-Gesellschaft Rosenheim im Künstlerhof am Ludwigsplatz.

Goethes Großvater, der auf einem Gemälde zusammen mit seiner Frau zu sehen war, kam 1657 als Sohn eines Hufschmieds und späteren Ratsherren im thüringischen Artern zur Welt. Der junge Friedrich Georg erlernte erfolgreich den Beruf des Schneiders und lebte einige Jahre in Lyon, das er aber als strenggläubiger Protestant nach dem Edikt von Fontainebleau verlassen musste. Lyon sei damals laut Seng der „Hotspot der Seidenindustrie“ gewesen, und Paris unter Ludwig XIV. führend in der Welt der Mode.

In Frankfurt, wo er sich als Schneidermeister niederließ, erwarb Friedrich Georg durch Heirat das Frankfurter Bürgerrecht. Sein französisch klingender Nachnahme mit dem Accent Aigu verschaffte ihm zudem einen beruflichen Wettbewerbsvorteil. Zur Veranschaulichung von Friedrich Georgs beruflichem Erfolg zeigte Seng drei Rechnungen Göthés an den Darmstädter Hof.

Mit Goethes Ururgroßvater Johann Wolfgang Textor verband Friedrich Georg eine unerfreuliche berufliche Beziehung. Der Stadtsyndicus wollte die hohen Schneiderrechnungen seiner blutjungen Frau, die ihm nach einem halben Jahr Ehe entwichen war, nicht bezahlen. Es kam zu einem langwierigen Prozess, den schließlich Friedrich Georg Göthé verlor.

Aus der zweiten Heirat Friedrich Georg Göthés mit einer Gastwirtswitwe entstammte als jüngster Sohn Johann Caspar Goethe, der Vater des Dichters. Johann Caspar besuchte das Gymnasium, wurde Jurist, erkaufte sich den Titel „Kaiserlicher Rat“ und lebte später als Privatier. Die Schreibung seines Namens änderte er in die Form „Goethe“.

Beruflichen Erfolg hatte Friedrich Georg Göthé mit einer florierenden Weinhandlung. Als er 1730 starb, hinterließ er ein riesiges Vermögen. Sein Enkel aber sei von den Schulkindern verspottet worden, weil der Großvater lediglich Gastwirt gewesen sei, was Goethe laut Seng stets verschleiern wollte. „Von seinem Großvater hat Goethe den Drang zur Selbstinszenierung und eine „textile Eitelkeit“ geerbt“, so Sengs Resümee. Auch die von Goethe kreierte Werther-Tracht könne als eine Erinnerung an Friedrich Georg Göthé angesehen werden. Georg Füchtner

Artikel 2 von 9