Rosenheim – Keine schwarze Komödie wie „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmin Reza ist „Der Vorname“ von Matthieu Delaporte und Alexandra de La Patellière, sondern die leichtere Variante eines ähnlichen Plots. Dafür sprechen schon die zahlreichen Lacher, die diese erfolgreiche Komödie – Uraufführung 2010 in Paris – bei der Premiere im Künstlerhof am Ludwigsplatz hervorrief. Dennoch hat das Stück auch Tiefgang, bildet unsere Gesellschaft prototypenhaft ab, ohne aber tragisch ernst zu sein. Kurzum: beste Unterhaltung mit einer Mischung aus Leichtigkeit, Witz und Tiefgang.
Gelungene
Adaption
Das sind die Voraussetzungen – und die „Inntaler“ machen unter der Regie von Anja Rajch aus diesem Stoff mit großem Können und Einsatz ihre eigene Rosenheimer Adaption, die in einer Wohnung mit vielen Büchern am Max-Josefs-Platz stattfindet. Hier wohnen der Literaturprofessor Paul Berger, seine Frau Elisabeth Berger-Böttcher, Französischlehrerin am Sebastian-Finsterwalder-Gymnasium, mit den Kindern Athena und Adonas. Während Paul verzweifelt auf einer Couch sitzend nach den Kellerschlüsseln sucht, ist seine Frau, die Gäste zum Abendessen eingeladen hat, fast mit der Zubereitung eines marokkanischen Buffets fertig. Erster Gast ist der Posaunist Klaus König. Bald darauf erscheint Elisabeths Brudes Vincent Böttcher, ein erfolgreicher Immobilienhändler. Er berichtet, dass seine schwangere Freundin Anna verspätet dazu kommen wird und beginnt, seinen Jugendfreund Paul aus Spaß an der Diskussion zu provozieren.
Empörung
über „Adolf“
Es kommt unter den drei Freunden die Frage auf, wie Vincent sein Kind – es soll ein Sohn werden – nennen wird. Nach langem hin und her lässt der werdende Vater die Katze aus dem Sack: Nach einer Figur des französischen Autors Benjamin Constant soll er „Adolphe“ heißen. Bei den beiden anderen bricht ein Sturm der Empörung los, ein Kind phonetisch gleich mit dem Vornamen Hitlers zu benennen. Als Vincent in die Diskussion wirft, dass es schließlich auch andere Diktatoren gegeben hat, die Josef, Benito, Francisco oder Napoleon hießen und diese Namen weiterhin verwendet werden, wird der Disput zunehmend heftiger. Gegenseitige, wohl lange unterdrückte Vorwürfe, brechen sich Bahn. Das Stück nimmt weiter an Tempo zu. Die Frotzeleien und Seitenhiebe immer schneidender serviert, die beiden Frauen mischen ebenfalls mit. Doch dann kommt es zu einer überraschenden Aussage eines der Disputanten, und die Stimmung beginnt zu kippen.
Martin Niedermeier führte, durch den Mittelgang erzählend auf die Bühne schreitend, als Moderator in die Szenerie des Stückes ein und verschwand erstmal in der Kulisse.
Mit Gerd Niedermayer als Paul und Sabine Huber als seine „Liesi“ begann das Stück. Niedermayer stakste als etwas umständlich-verknöcherter Literaturprofessor sprachverliebt und scharfzüngig durch das Zimmer (geschmackvoller Bühnenbau von Peter Nowak). Sabine Huber gab die gestresste Mutter, Hausfrau und Gastgeberin und setzte zum Ende hin mit ihrem furiosen Rundumschlag, alle verfügbare Wein-Noagerl in sich hineinschüttend, einen dramaturgischen Höhepunkt, der zu recht einen kräftigen Szenenbeifall auslöste.
Carsten Schmidt als Posaunist bildete mit seiner eher barocken Erscheinung den bedächtigeren, ausgleichenden Part gegenüber den Kontrahenten Paul und Vincent. Sein großer Auftritt, sozusagen ein familiäres coming out, bot er, von Vincent gedrängt, mit sich selbst ringend, aber souverän und konsequent zu Ende führend. Martin Niedermeier gab dem Stück in bissiger, provokant-angeberischer Art die nötige Reaktionsanfangstemperatur, grimassierte gekonnt unwillkürlich und steigerte sich bis zum Eklat. Irmi Stocker, als einzige anfangs im Streit nicht Involvierte, erschien überzeugend als gut gestylte Mode-Tussi, passend zu ihrem SUV-protzenden Partner, und zeigte aber trotz eines Missverständnisses mehr Hirn, als ihr Paul zubilligen wollte. Den Hahnenkampf zwischen Paul und Vincent versuchte sie sportlich zu beenden: „Das Match endet jetzt eins zu eins“, worauf sie belehrt wurde, dass es im Tennis kein Unentschieden gebe. Also gingen die Hakeleien munter weiter.
Für die großartige schauspielerische Leistung aller gab es verdienten kräftigen Applaus. Ein paar kleine Versprecher waren der Premieren-Nervosität geschuldet, und Martin Niedermeier bekannte später, dass die Generalprobe besser gelaufen war. Damit bestätigte er eine alte Theaterregel: Wenn es bei der Generalprobe noch etwas hakt, folgt eine perfekte Premiere – und umgekehrt…