Rosenheim – Sie gehören wohl zu seinen bekanntesten Gedichten: Goethes „Prometheus“ und „Das Göttliche“. Dass sie unterschiedlichen Epochen zuzuordnen sind, zeigte der Vorsitzende der Goethe-Gesellschaft Rosenheim Ulrich Noltenhans in seinem erhellenden Vortrag mit dem Titel „Vom Sturm und Drang zur Klassik. Zwei Gedichte Goethes.“ Noltenhans sprach vor zahlreichen Zuhörern im Künstlerhof am Ludwigsplatz.
Als Goethe 1773 sein Gedicht „Prometheus“ schreibt, ist er 24 Jahre alt und mit dem „Götz“ bereits ein berühmter Autor. Der junge Dichter befindet sich in Hochstimmung. Es ist die Zeit des „Sturm und Drang“. Goethe, so ein Zeitgenosse, sei ein magerer junger Mann, blass, seine Miene ernst und traurig, aber er sei sehr beredt und ströme von Einfällen und besitze eine „hineinfühlende Dichterkraft“. Tatsächlich ist die Sprache des jungen Dichters im „Prometheus“ stark, wuchtig, emphatisch.
Prometheus spricht einen Monolog und stellt Zeus viele rhetorische Fragen. Er stellt sich auf gleiche Stufe mit den Göttern, die er verachtet. „Hier ist der Mensch das Maß, nicht die Götter“, erklärte Noltenhans den Zuhörern. Zeus könne angesehen werden als der christliche Gott des 18. Jahrhunderts, aber auch als der Fürstengott und als herrschender Vater, gegen den sich der Sohn auflehnt. „Prometheus ist ein Symbol für schöpferische Qualität“, so Noltenhans. Für das Genie würden keine gesetzten Regeln mehr gelten, vielmehr sei es selbst eine gesetzgebende Instanz, folge es intuitiven, natürlichen Regeln, nämlich dem Gefühl, dem Trieb und dem Herzen.
Ganz anders verhalte es sich mit Goethes 1783 geschriebenem Gedicht „Das Göttliche“. Hier sei der Mensch klaren Gesetzen unterworfen. „Die Natur ist im Gegensatz zum Menschen unfühlend, sie unterscheidet nicht“, so Noltenhans. Der Mensch könne zwar Unmögliches leisten, unterscheiden, wählen und richten, doch sein Leben sei endlich. Allein die Kunst verleihe dem Augenblick Dauer. „Das Göttliche“, erklärte der Referent, symbolisiere die Periode der Klassik: „Die Sprache des Gedichts ist feierlich, streng und maßvoll.“
Verkörpere der Mensch im „Prometheus“ ein autonomes Wesen, das sich gegen Gott auflehne, zeige er in dem lehrhaften Gedicht „Das Göttliche“ Humanität, strebe nach Vollkommenheit, sei Vorbild und ewigen Gesetzen unterworfen.
Georg Füchtner