Rosenheim – Marianne Sägebrecht kann laut. Marianne Sägebrecht kann lustig. Marianne Sägebrecht kann aber auch extrem hintergründig und übers Leben reflektierend sein. Gerade deshalb freut sie sich im Stück „Der Brandner Kaspar und das ewig´ Leben“ im Rosenheimer Kuko mitzuwirken. Zu Rosenheim hat die 74-jährige Schauspielerin, Kabarettistin und Autorin besondere Erinnerungen. Darüber, ihre Arbeit für die Hospizbewegung, eine Nahtoderfahrung sowie ihre selbst auferlegte Verpflichtung dem jungen Publikum gegenüber sprach sie mit den OVB-Heimatzeitungen.
Frau Sägebrecht, was verbinden sie mit Rosenheim und der Region?
Rosenheim und die gesamte Region liegt mir am Herzen. Seit meinem Film „Out of Rosenheim“, erschienen 1987, sind wir quasi besonders verbandelt. Der Film erlebt aktuell eine Renaissance, da er digitalisiert wird. Sowohl in London, Los Angeles als auch beim Filmfestival in Cannes kennt man mich in Verbindung mit Rosenheim. Deshalb freue ich mich sehr, wieder in die Stadt zu kommen. Hier leben besondere Menschen: tolerant und sehr musikalisch. Hier gibt es sehr viele Musische. Und eine weitere Verbindung gibt es zur Region: Meine Urgroßmutter war eine Bauerntochter vom Samerberg.
Außerdem haben Sie auch viele Freunde hier…
Das stimmt. Augustin Zirner, Eisi Gulp und Uli Bauer gehören dazu und sind mir liebgewordene Weggefährten. Den Obinger Lichtkünstler Harald C. Lössl kenne ich aus Münchner Zeiten und musikalisch bin ich mit „Django 3000“ und „LaBrassBanda“ befreundet. Ich bin ja nicht weit weg. Ich wohne in einem Dorf am Starnberger See. Ich umgebe mich gerne mit den unterschiedlichsten Menschen – gleich welchen Alters, welcher Branche. Das hält jung im Geiste. Und zusätzlich habe ich noch als Gedächtnistraining das Textlernen für meine Rollen.
Das ist gleich ein gutes Stichwort für Ihre Rollen im Kuko im Brandner Kaspar. Das ist ja ein Kultstück. Was macht für Sie dabei die Faszination aus?
Mich hat der Tod sowie seine Mythen und Erzählungen darum schon immer gefesselt. Der unterschiedliche Umgang mit dem Sterben und dem Tod finde ich spannend und befasse mich gerne damit. Auch letzte Ölungen, andere Rituale und die indische Philosophie dazu sind mir hier wichtig. Der Brandner Kaspar hat hier einen eigenen Weg gefunden. Zunächst haut er den Tod übers Ohr, um ihm dann doch zu folgen. In der Version, die wir spielen, haben wir dabei durchaus moderne Bezüge in Textpassagen über Preißen oder den Berliner Flughafen geschaffen. Aber ich will nicht zu viel verraten. Nur so viel: Mich gibt es in einer Doppelrolle. Als Afra und Theres.
Eigentlich sind die Hauptrollen der Brandner Kaspar und der Tod – oder sehen Sie hier Afra und Theres eigentlich als Schlüsselfiguren?
Afra ist für mich die Sehende. Ich spiele sie wahnsinnig gerne. Sie holt als Urgroßmutter das Marei vom Vorhof zum Himmel ab. Hier gibt es Parallelen zu meinem eigenen Leben, die die Rolle so besonders für mich machen.
Inwiefern Parallelen?
Ich hatte mit 14 Jahren eine Nahtoderfahrung. Ich hatte einen Blinddarmdurchbruch und habe bei der Operation alles gehört und mich von außerhalb meines Körpers gesehen. Mein Leben zog an mir vorbei und ich war in diesem Tunnel, dem hellen Licht entgegen. Meine Urgroßmutter, ein Naturweib und eine Heilerin, hätte mich ebenfalls an der Pforte abgeholt und sprach zu mir. Ich wehrte mich aber und wollte auf der Welt bleiben. Seither habe ich keine Angst mehr vor dem Tod. Die Seele geht weiter und ist frei.
Das Thema Tod spielt aber nicht nur im aktuellen Stück in Ihrem Leben eine Rolle. Sie engagieren sich aktiv für die Hospizbewegung.
Genau. Ich umarme den Tod mit meinem Leben. Das ist mein Credo und zugleich Titel meines jüngsten Buchs. Ich begeistere mich für alle Facetten des Lebens. Ich spreche in meinen Vorlesungen in Hospizen über den Glauben an Gott, an die Unsterblichkeit der Seelen, an das Gute im Menschen und an die Kraft der Liebe. Ich ermutige jeden, das Sterben wieder ins Leben zu holen. Es darf nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Es gehört dazu, wie Geburtstage und Geburten. Im Hospiz findet man dafür Ruhe und Frieden und Menschen, die einen seelisch begleiten. Niemand sollte alleine sterben.
Was Sie machen, gehen Sie mit Herzblut an. Ob im Hospiz, bei Lesungen oder auf der Theaterbühne. Ist es dabei schwierig, sich selbst treu zu bleiben?
Nein. Ich mache nur das, was auch zu mir passt und was ich will. Bestes beispiel: Ich sollte eine Rolle spielen, in der unglaublich viele Schimpfwörter, die nichts für Kinderohren sind, vorkamen. Da habe ich abgelehnt. Das konnte ich nicht mit dem Bild, das Buben und Mädchen durch meine Rolle als Beda Andersson in den Geschichten von „Pettersson und Findus“ von mir haben, vereinen. Meine Rollen stehen auch für Werte und das ist mir wichtig. Da können auch Erwachsene noch etwas lernen.
Wie meinen Sie das? Erwachsene sollen aus den Kinderfilmen lernen?
Ja. Beispielsweise gibt es das Weihnachtsfest mit einem verletzten Pettersson und seinem Findus. Nachbarn kommen aber und sorgen für ein schönes Fest in einer Gemeinschaft. Dieses für jemanden Dasein und selbstlos handeln, das ist auch für Erwachsene ein gutes Lehrstück und nicht nur für Kinder.
Gibt es eine Rolle, die Sie unbedingt gerne noch spielen würden und wenn ja, warum?
Eigentlich wäre das „Der Prozess“ von Kafka. Das Werk ist 1914/1915 entstanden und neben „Die Verwandlung“ Kafkas weltweit bekanntestes Werk. Aber es hat 34 Personen und immens viel Text zu lernen. Das ist mir mit 74 Jahren dann doch zu anstrengend. Da sehe ich mich eher zusammen mit der Jugend als Jugendquell.
Kunst und Jugend ist oftmals schwierig zu verbinden. Sie schaffen das aber immer mit Ihrem Humor. Wie stehen Sie dazu und was kann man tun, um junge Generationen für Klassik, Theater und Co. zu begeistern?
Ich halte oft Vorlesungen in Kindergärten und an Schulen. Da spiele ich gerne ein- bis fünf Minuten lang ein klassisches Musikstück Stück vor. Ich höre dann oft von Betreuerinnen, dass das zu lange sei und die Kinder nicht so lange aufmerksam blieben. Ich beweise ihnen dann meist das Gegenteil. Denn mit Einfühlungsvermögen, Intensität und Humor und entsprechendem Spannungsbogen geht das. Man muss Kindern etwas zutrauen. Ihre Sinne und Talente fördern und begeistern. Dann klappt das auch mit den Künsten.
Wie wählen Sie Ihre Rollen aus? Wie muss ein Drehbuch, wie muss eine Figur sein, damit Sie zusagen?
Ich mache es mir nicht leicht. Ich habe mich ja 1999 zurückgezogen und drehe nur noch einen Film pro Jahr. Aber wenn ich bei der Lektüre eines Buches oder eines Stücks sofort das Gefühl habe: Das kennt meine Seele schon, dann sage zu. Die Rolle muss authentisch sein, darf nicht zu weit weg von meiner eigenen Person sein. INterview: Silvia MIschi