Von der Lust an der Dystopie

von Redaktion

Film Noir des Wasserburgers Peter Ludwig feiert morgen im Utopia Premiere

Wasserburg – Was wäre, wenn es keine Moral in der Gesellschaft gäbe? Diese Frage stellt sich in „Blind Date“ nicht. Der neunte Spielfilm des Wasserburger Pianisten, Komponisten und Filmemachers Peter Ludwig, der am morgigen Donnerstag um 19.30 Uhr im Utopia Kino in Wasserburg Premiere feiert, beschäftigt sich mit einer Dystopie. Es geht um aktive Sterbehilfe, um Tötung auf Verlangen.

Hier kriegt jeder, was er will. Die, die sterben wollen, werden getötet. Die, die mordlustig sind, dürfen es sein. Mit Vertrag, Lizenz und Unterschrift. Ohne Strafverfolgung. Möglich macht das die Agentur von Madame Fossoyeur (gespielt von Susan Hecker).

Sie bringt Menschen mit Sterbewunsch und solche mit Tötungswunsch zusammen, regelt den Papierkram. Fast wie in einer Partnervermittlung. Man kann sich beispielsweise aussuchen, ob man vergiftet, ertränkt, erhängt werden möchte.

Die Ausführung zeigt der Filmemacher Peter Ludwig nicht. Er lässt im Raum stehen, was nun im Dunkeln oder hinter der verschlossenen Tür passiert. Krimis, die am Ende doch gut ausgehen, langweilen ihn. Berühmte Regisseure wie Stanley Kubrick oder Orson Wells litten unter dem Zwang zum Happy-End, der früher in der US-Filmindustrie Gesetz war.

Ein Grund, warum sich Ludwig für die Anti-Utopie, wo Moral und Gerechtigkeit außer Kraft gesetzt sind, entschied. „Die Geschichte lehrt uns, wie schnell in einer menschlichen Zivilisation alle Dämme brechen können. Stürzt ein Flugzeug ab, fressen sich die Leute gegenseitig auf“. Er verweist auf den Holocaust, die NS-Zeit und wie seine Elterngeneration nach dem Krieg über diese schrecklichen Ereignisse verstummte. Dass gefolgstreue Lehrer nahtlos nach 1945 Kinder unterrichteten und andere Nazis es in der Politik weit brachten. Erinnert er sich an seine Kindheit, sagt er, das war wie eine Parallelwelt. Erst 1968 kam diese Vergangenheit zur Sprache. In diesem Zusammenhang sagt er auch: Niemand sieht aus, wie ein Mörder. Herrscht Krieg, haben Benehmen, Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit in diesem Gesellschaftszustand keine Bedeutung mehr. Die eigenen Abgründe tun sich auf.

Das Licht lenkt den
Blick des Zuschauers

In seinem Film sind die Charaktere so angeordnet, dass sie befreit von Moral und nur aus ihrer eigenen Logik heraus agieren. Der 60-Jährige liebt den Film Noir und arbeitet mit dieser Ästhetik: Das Licht, das nur von einer Seite auf die Figuren oder den Raum fällt, lenkt den Blick des Zuschauers und schafft eine spezifische Stimmung. Das Schattenspiel, das harte Schwarz und das Weiß sind ebenso typisch für die Bildsprache des Genres.

Der Kinofilm ist eine No-Budget-Produktion. „Ich habe die Schauspieler mal zum Essen eingeladen oder mir eine Festplatte gekauft, aber ,Blind Date‘ ist ohne Produktionskosten entstanden“, wie der Wasserburger sagt. Das sei möglich, wenn man flexibel sei und mit den gegebenen Möglichkeiten arbeiten könne. „Was zählt, ist die Hierarchie der Idee“, so Ludwig.

Viel gedreht wurde in seiner Wohnung auf der Burg, die ein Gewölbe bietet, das er als Studio nutzt. Der Raum ermöglicht es, Scheinwerfer und Mikrofone sowie andere Technikelemente aufgebaut stehen zu lassen. Den Aufbau jedes Mal neu zu machen, würde zu viel Zeit verschlingen.

Susan Hecker, die aktuell in der Inszenierung von „Pension Schöller“ im Theater Wasserburg zu sehen ist, ist eine der drei Profi-Darsteller. Hecker holte ihren Belacqua-Kollegen Hilmar Henjes ins Boot und Hans Peter Cloos aus Paris machte auch mit. Der Rest des Teams setzt sich aus Laiendarstellern zusammen.

Susan Hecker, die in Waldkraiburg das Ensemble „Stadttheater Waldkraiburg“ leitet, lud Regisseur Peter Ludwig zu einer Probe ein. Und der wurde dort fündig. So bereichern einige Hobby-Schauspieler das Filmteam.

„Susan Hecker probte mit ihnen den Text. Ohne sie wäre das Projekt nicht möglich gewesen“. Was er schätzt: Niemand hielt die Drehs, die in Wasserburg, bei Schnaitsee, in Waldkraiburg oder etwa am Langbürgner See stattfanden, mit Allüren, Verspätungen oder sonstigen Mätzchen auf. Alle arbeiteten ohne Gage – dafür mit Lust und Vergnügen.

Obwohl es um Mord und Totschlag ging, der Film sehr düster ist, herrschte am Set ausgelassene Stimmung. „Komödien sind da viel problematischer zu machen“, sagt Ludwig augenzwinkernd. Am Ende agierte er wie ein Komponist, der die Bilder zusammenfügt zu einer virtuellen Echtzeit. Natürlich stammt auch die Filmmusik von ihm. Suspense-Elemente, ein bisschen Requiem, Tango. Dazu bizarre Dialoge zwischen den „Abschiednehmenden“ und „Abschiedgebenden“, die komisch wirken. Zum Glück braucht schwarzer Humor keine Moralität.

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