Massenansturm auf die Matinee

von Redaktion

Das Klaviertrio Reif, Schmidt und Schuch sorgt im Künstlerhof für Furore

Rosenheim – Stell dir vor, der Tonkünstlerverband lädt zu einer Matinee mit Klaviertrios von Ludwig van Beethoven und Dimitri Schostakowitsch im Künstlerhof und alle, wirklich alle kommen. Ein eilig beschriebenes Plakat mit der Aufschrift „Ausverkauft!“ wurde den nachdrängenden Besuchern entgegengehalten. Schließlich musste eine halbe Hundertschaft Musikinteressierter frustriert wieder von dannen ziehen.

Auch eine Kiste kann glücklich machen

Glücklich, wer ein Plätzchen ergattert hatte – und wenn’s auch nur eine Kiste ganz hinten am Fenster war.

Man wird dieses Konzert aber auch aus anderen Gründen fest im Gedächtnis behalten: Thomas Reif (Violine), Katharina Schmidt (Violoncello) und Thomas Schuch (Klavier) sind in Rosenheim keine unbeschriebenen Blätter. Ohne Fehl und Tadel als Solisten, glänzten sie bei Beethoven und Schostakowitsch auch als leidenschaftliche Kammermusiker, die auf den kleinsten Impuls des Partners traumhaft reagierten. Das Programm allein erforderte von den Musikern nicht nur höchste Meisterschaft, sondern auch eine, man möchte sagen: entspannte Konzentration.

Wenn der junge Beethoven mit diesem Klaviertrio Opus 1, Nummer 1 sein Werkverzeichnis beginnen lässt, ist doch keineswegs höfisch-gefällige Unterhaltung zu hören. Da ist schon vieles zugespitzt; plötzliche Übergänge weisen in neue Richtungen. Vor allem liegt dem Komponisten an einem übergeordneten, logisch nachvollziehbaren Diskurs. „Musik ist das Geräusch, das denkt“, meinte einst Victor Hugo.

Protagonisten ließen Instrumente singen

Diese anspruchsvollen Vorgaben zu erfüllen, lud das Trio die Musik mit ungeahnter Energie auf. Spannungsbögen verdeutlichten die Sinnzusammenhänge. Mit offensiver Behutsamkeit modellierten die Interpreten die rhythmischen und motivischen Profile. Bei aller Freude an handfesten Attacken ließen die Streicher die von Beethoven durchaus nicht verweigerten Kantilenen aufblühen. Auch Reif und Schmidt konnten hier ihre Instrumente beseelt „singen“ lassen! Für Puristen ist das Klavier durch seine temperierte Stimmung im Zusammenspiel mit den Streichern ein „Fremdkörper“. Schuch war jedoch der sensible Mittler; er drängte nie in den Vordergrund, ließ aber auch nicht seine glasklar perlenden Läufe zur diffusen Hintergrund-Begleitung verschwimmen. Ein Pianist, bei dem sich die streichenden Partner wohl aufgehoben fühlen dürfen!

Schostakowitsch war kein junger Mann mehr, als er 1944 sein Klaviertrio Nr.2 schrieb. Wut und Trauer, ja fratzenhafte Übersteigerung prägen die Musik, die dem Andenken eines verstorbenen Freundes, aber auch der vom „Hitlerismus“ ausgelöschten jüdischen Bevölkerung gewidmet ist. Schostakowitsch besitzt das Charisma, auch den „naiven“ Hörer mitzureißen.

Der erste Satz beginnt scheinbar bewegungslos in eisig wirkendem Flageolett des Cellos, in dunklerer Färbung gesellt sich die Violine dazu. Mit dem Klavier grollt der tiefe Bass. Voll Bangnis fühlt sich der Hörer in eine dunkle Welt des Unheils hineingezogen.

„Laughter through tears“ lautete das Motto der Matinee: Tränen des Zorns evozierten die stampfenden Folklorismen des „Allegro con brio“ – die scheinbar heile Welt von oben verordneter Volkstanz-Seligkeit wird grimmig als Verlogenheit des Sowjet-Systems entlarvt.

Als im letzten Satz die „zigeunerhaften“ Tanzmotive, mitunter ins Gespenstische gesteigert, verebbten und der letzte Satz erstarrte und sich auflöste, da erwachte das Publikum nur langsam aus der „Schockstarre“. Der dann frenetisch einsetzende Applaus zog eine Zugabe nach sich: Ein „alla zingarese“ huschender Satz aus einem Haydnschen Trio. Diese freundlich-feurige Musik hätten wir ein andermal liebend gerne gehört.

Artikel 9 von 9