Liebe ist schöner als Weisheit

von Redaktion

Ambitionierte Premiere eines antiken Dramas in der Rosenheimer Theaterinsel


Rosenheim –
Im Sturmgebraus und Nebel erscheint der Gott Dionysos, sein Gefolge, die Bakchen, drängen sich schlangenumkränzt und blumenbekränzt um ihn, die irr aufgerissenen Augen schwarz umrandet: Es herrscht ekstatische und orgiastische Trunkenheit – die allerdings ein bisschen gebremst ist.

Auch die Musik (Franziska Reuter und Ludwig Herrmann) könnte man sich psychedelischer, aufpeitschender denken: In jedem heutigen Club geht es dionysischer zu. Und Blut fließt auch keins, wenn die von Dionysos in einen Rauschzustand getriebenen Frauen von Theben ihren König zerfleischen, es fliegen nur rote Tücher. Aber dem Team der Theaterinsel Rosenheim unter der Regie von Marie Elliot-Gartner gelingt es, „Die Bakchen“ des griechischen Dichters Euripides, so zu erzählen, dass die Handlung klar wird: Pentheus, König von Theben und gleichzeitig Cousin des Rauschgottes Dionysos, will diesen nicht als Gott anerkennen.

Aus Rache versetzt Dionysos die thebanischen Frauen in einen Rauschzustand, sie feiern im Wald ekstatische Riten und zerstückeln am Ende Pentheus, der das, als Frau verkleidet, beobachten will, wobei Pentheus‘ Mutter Agaue ihm persönlich den Kopf abreißt, im Glauben, es sei ein Berglöwe.

Hier steht Vernunft gegen Irrationalität, Ordnung gegen Chaos. Dramatische Rededuelle thematisieren diese Antithetik: Der alte König Kadmos (zu Beginn greisenhaft-lüstern und am Ende tragisch ernüchtert: Klaus Paschke) und der blinde Seher Teiresias (munter aufgekratzt und komödiantisch: Justus Dallmer) geraten im Dialog mit dem logisch argumentierenden Pentheus in die Rolle von vergnügungssüchtigen Alten.

Die Regisseurin hat das antike Drama modernisiert: Pentheus sitzt am Computer – der allerdings ausfällt, wenn Dionysos erscheint. Als Thyrsusstab, das Attribut der Dionysos-Jünger, dient ein Selfiestick – der allerdings nicht konsequent eingesetzt wird.

Ähnlichkeit ein
wirksamer Aspekt

Die Chöre sind aufgeteilt in Einzelstimmen, die immer klar und deutlich artikulieren, nie wird richtig chorisch gesprochen: Das wäre doch schön, wenn sie Liebe und Schönheit schöner als Weisheit deuten. Den Hauptredeanteil haben Dionysos und Pentheus. Dass Fabian Behr und Luca Kronast-Reichert sich ähnlich sehen, ist ein wirksamer Aspekt: So nah und verwandt sie sich sind, so verschieden argumentieren sie in bestechender Sprachkunst.

Wenn Pentheus, der das Treiben der Bakchen und der aufgepeitschten Mänaden beobachten will, von Dionysos in Frauenkleider gesteckt wird, verwischen sich die Unterschiede von Mann und Frau: Beide tragen unter den Persianerpelzen schwarze Spitzenoberteile, Luca Kronast-Reichert balanciert auf High Heels, der „Weibergott“ Dionysos effeminiert den männlichen Logiker, der anfangs als arroganter Herrscher aufgetreten ist. Fabian Behr ist ein echter Verführer, „charmant wie Aphrodite“, wie es im Text heißt.

Was im Text nur als Botenbericht kommt, lässt die Regisseurin auf der Bühne sehen. Diese dramaturgische Verdoppelung ist wohl didaktisch gemeint: Man muss es sehen, um es zu verstehen. Eine herausragende Schauspielerleistung gelingt Ulrike Müller als Pentheus‘ Mutter Agaue: Wenn sie erkennt, dass sie ihren eigenen Sohn zerfleischt hat, bricht sie schreiend zusammen: das erschreckende Schlussbild einer mitreißenden Aufführung.

Weitere Vorstellungen sind bis zum Sonntag, 1. März, an den Freitagen und Samstagen um 20 Uhr, an den Sonntagen um 17 Uhr, in der Theaterinsel. Karten gibt‘s unter Telefon 08031/ 9008203 oder unter www.
theaterinsel.de.

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