Bad Aibling – Erst am Schluss, nach dem herzlichen Beifall, lockerten sich die strengen Mienen der sechs italienischen Musiker auf zu einem befreiten Lächeln – schließlich hatten sie schwere deutsche Musik gespielt. Das „Sestetto Stradivari“ besteht aus Mitgliedern des Orchestra dell‘ Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom und nennt sich so, weil sie alle auf Stradivari-Instrumenten spielen: David Romano und Marlène Prodigo (Violinen), Raffaele Mallozzi und David Bursack (Violen), Diego Romano und Sara Gentile (Celli).
Kontrollierte
Klangsinnlichkeit
Genau kontrollierte und austarierte Klangsinnlichkeit sowie ein hörbarer Sinn für die Struktur der gespielten Werke prägt das Spiel der sechs Streicher. Sie verstehen sich so blind, dass sie nur ganz selten mit Augen- oder Körperspiel kommunizieren müssen. Jeder weiß immer, wie er wann spielen muss. Das äußert sich in einer scheinbar leichten, bisweilen lässigen Souveränität des Spiels. Nach dem fulminanten Beginn der Kammermusikreihe „Klassik! Bad Aibling“ kam hier schon der nächste Höhepunkt. In der Oper „Capriccio“ von Richard Strauss werben ein Dichter und ein Komponist um die Liebe einer Gräfin: Die lauscht zu Beginn einem – auch von Strauss komponierten – Streichsextett, wobei sie von den beiden Liebes-Rivalen beobachtet wird. Schwellend und schwelgend bieten die italienischen Musiker in (an)gemessener kontrollierter Emphase und mit dramatischer Zuspitzung diese Musik, die sich manchmal anhört wie eine in Schokolade getunkter „Tristan“: Musik für schmelzende Frauenherzen. Und schon schmelzen auch die Herzen der Zuhörer im Kursaal von Bad Aibling.
Alles umspülendes
Wellenmotiv
Erst recht dann bei der „Verklärten Nacht“ von Arnold Schönberg, die klingt, „als ob man über die noch nasse „Tristan„-Partitur darüber gewischt habe“, wie ein Zuhörer damals 1999 bei der Uraufführung urteilte. Hatte vorher die Musik zur Diskussion angeregt, erzählte jetzt diese Musik selber und bildete selber eine erotisch erregte Diskussion zwischen einem Liebespaar in einer hellen Mondnacht ab, die das Sextett mit Silberklängen in den Geigen und dramatischen Aufschwüngen im Cello akustisch heraufbeschwor. Bei aller gespielten Leidenschaft blieben die Musiker aber kontrolliert und ließen die Musik selbst leidenschaftlich sein. Ganz deutsch wurde es im G-Dur-Sextett von Johannes Brahms. Gerade hier bewies das „Sestetto Stradivari“ seine Kunst des klangsinnlichen Strukturierens: Genau hörte man, wie Brahms seine Musik baut und aufbaut, wie zum Beispiel im Kopfsatz das scheinbar nebensächliche Wellenmotiv alles umspült und dadurch zum heimlichen Hauptmotiv wird.
Das so synkopisch flirrende Scherzo begann in schmachtender Süße, bis im Trio das Brahms’sche ungarische Temperament losbricht, besonders das so tieftraurige Adagio wird immer dichter im Klang, und wenn dann die Tränen fließen in dem nach unten ziehenden Motiv, zerfließen auch die Herzen der Zuhörer.
Für den begeisterten Applaus bedankte sich das Stradivari-Sextett mit dem Scherzo aus Tschaikowskys „Souvenir de Florence“ als Gruß nach Moskau, wohin die Musiker am Morgen darauf flogen.