Neubeuern – Kein Beethoven, Schumann oder Chopin, nein, Swing- und Ragtime-Rhythmen von Fats Waller und Art Tatum erfüllten den vornehmen Salon des Schlosses Neubeuern. „Dances“ war das Thema der Pianistin Lise de la Salle, der Rhythmus sei „der Herzschlag der Musik“, verkündete sie zu Beginn. Und so tanzte sie mit und am Klavier quer durch die Jahrhunderte und quer durch die Nationalitäten, verquickte französische, slawische, spanische und amerikanische Tänze, wobei die nationalen Entwicklungslinien oft durcheinanderliefen: Der Russe Rachmaninow komponierte eine italienische Polka, der Franzose Debussy eine polnische Mazurka und der Russe Strawinsky einen spanischen Tango. Dann hört man auch, wie Debussy sich von Chopins Mazurken inspirieren ließ, wie Maurice Ravel den Wiener Walzer in seinen „Valses nobles et sentimentales“ gleichsam dekonstruiert: Alles ist Rhythmus.
Virtuos-reißerisch
statt elegant-mondän
Und Lise de la Salle verschmilzt alle diese Tänze zu einer Demonstration des puren Rhythmus. Da überhöht sie „Tea for two“ zu einer pianistischen Brillanz, mit der Chopin damals in den Pariser Salons glänzte, da wird die elegant-mondäne „Étude en forme de Valse“ von Camille Saint-Saens zu einem virtuosen Reißer à la Liszt aufgedonnert, da entwickelt sich der grüblerisch-verträumte Valse op. 38 von Alexander Scriabin zu rauschender Grandezza und die lustige „Italian Polka“ von Sergej Rachmaninow stürzt sich am Ende in einen virtuosen Spielrausch.
Dabei langt die zierliche Lise de la Salle kräftig hin, markiert den jeweiligen Rhythmus immer ganz scharf, so auch in den Rumänischen Volkstänzen von Béla Bartók, die dann etwas Martialisches bekommen, oder im berühmten „Libertango“ von Astor Piazolla, dessen bassgrundierten Tango-Rhythmus fast bedrohlich wirkt. Nur der „Graceful Ghost Rag“ von William Bolcom bleibt graziös gedämpft.
Der mittlere der drei „Dansas Argentinas“ von Alberto Ginastera ist erfüllt von verzweifelter Hoffnung und hoffnungsloser Melancholie, baut sich mittendrin groß auf und endet fast schluchzend, während der dritte dieser „Dansas“ wieder laut rumorend und lärmend tanzt und die „Feuertänze“ von Manuel de Falla in orchestraler Fülle und mitreißendem Feuer großen Spontanapplaus ernten.
Schön, dass Lise de la Salle in der Zugabe klassisch wird und dennoch beim Tanz bleibt: Ruhig und voller Poesie spielte sie die „Siciliano“ aus der Flötensonate von Bach in einer Klavierbearbeitung von Wilhelm Kempff: Bach ist wohl einer der größten Melodiker und Rhythmiker zugleich.