Rosenheim – Das Publikum tanzt sich die Seele aus dem Leib, als die Band „Witch“ auf der Bühne zu Hochform aufläuft, allen voran ihr charismatischer Sänger Emanyeo Chanda alias „Jagari“, was an Mick Jagger angelehnt ist. Kerniges Schlagzeug, erdige E-Bass-Rhythmen, der Sound des Keyboards und eine ausgelassene Show mit verrückten Hüten – das ist das Erfolgsrezept der afrikanischen Rocker aus Sambia, die sich zur „Wiedererweckung“ mit europäischen Musikern verstärkt haben und zusammen mit ihnen die Bühnen zwischen Los Angeles, Amsterdam und Liverpool unsicher machen.
Die Szenen entstammen dem Film „W.I.T.C.H. – We intend to cause havoc“, was so viel bedeutet wie „Wir wollen Unruhe verbreiten“. Die Federführung des Filmprojekts als Koproduzent und Kameramann hatte gemeinsam mit Gio Arlotta, der in Rosenheim mit seiner Familie lebende Kommunikationswissenschaftler und Filmemacher Tim Spreng.
Musikdoku ist eine
Herzensangelegenheit
Spreng ist vielfältig in der Filmbranche unterwegs: Er hat bereits zwei Spielfilme gedreht, produziert in verschiedenen Genres grenzübergreifend in München und in Tschechien. Zusätzlich dokumentiert er im Auftrag von Greenpeace und im Rahmen staatlicher Richtlinien für Naturwälder verschiedene Waldgebiete.
Für ihn ist die Musikdokumentation über die Band aus Sambia ein Herzensprojekt mit viel persönlichem Engagement. Jetzt läuft der Film mit deutschen Untertiteln im Rahmen des Münchner Dokumentarfilmfestivals, welches komplett gestreamt wird – in Corona-Zeiten vielleicht sogar eine Chance für mehr Publikum, dann aber eben im Heimkino.
Herausgekommen ist ein faszinierender Mix aus alten Aufnahmen, die in die Geschichte der Band zurückreichen, von Begegnungen mit den Musikern und Alltagsszenen von Märkten und Landschaften in Sambia. Trickaufnahmen und ein beeindruckender Soundtrack ziehen sich durch den Film, der viele Überraschungen fern von Afrika-Klischees bietet.
Superstars
ihrer Zeit
Die Band hatte sich in den 60er-Jahren gegründet, inspiriert durch die Musik von „Cream“, von „Black Sabbath“ oder auch der Stones und James Brown, von dem ein Ausschnitt eines seiner Konzerte in Sambia zu sehen ist. Die Kamera begleitet Gio Arlotta bei seinen Besuchen im alten Tonstudio, wo die ersten Alben auf historischen Aufnahmemaschinen entstanden. Historische Zeitungsberichte der „Times of Zambia“ zeigen, dass „Witch“ eine der afrikanischen „Supergroups“ ihrer Zeit waren. Wo sie auftauchten, kam es zu Massenaufläufen. Sänger Jagari setzte zu manischen Tanzeinlagen und waghalsigen Sprüngen von der Bühne ins Publikum an und nicht selten musste die Polizei für Ordnung sorgen.
Ähnlich wie in Wim Wenders’ Kultfilm „Buena Vista Social Club“ atmen die Begegnungen mit den „alten Herren“ wie Gitarrist Victor Kasoma oder Jagari Poesie und Atmosphäre. Oft geht es um die individuellen Lebenswege der Musiker, die sich durch die Disco-Mode der 70er-Jahre zunächst aus den Augen verloren hatten. Sänger Jagari wird beispielsweise gezeigt, wie er als Minenarbeiter in einem Stollen gräbt und dabei teils wertvolle Mineralien und Halbedelsteine zutage fördert – doch immer war er mit seinem Herzen Musiker.
Aber ähnlich wie bei Buena Vista oder auch wie in der artverwandten Dokumentation über den verschollenen Star „Rodriguez“, die in Rosenheim vor über 500 Besuchern im Open-Airkino am Salzstadel lief, entfachten die Dreharbeiten das musikalische Feuer wieder neu. Die maßgeblichen, noch lebenden und sehr vitalen Musiker von „Witch“ nahmen im Zuge des Drehs, unterstützt vom Filmteam, wieder neuen Kontakt auf. Die USA-Tournee war ausverkauft und ein voller Erfolg.
Musiker planen
Deutschland-Tournee
Der Film soll nach Festivalauftritten in Warschau, Rotterdam, Leeds und Kapstadt im Herbst und Winter 2020 in Deutschland in die Kinos kommen – sofern dann die Kinos wieder geöffnet haben. Auch ist eine Deutschland-Tournee der Band in Planung. Gerade entdecken viele junge Hörer den „Zamrock“, also Rock aus Sambia, für sich und der beinah vergessene afrikanische Rockstar Jagari steht mit seinen Freunden wieder auf der Bühne.
„Interessant ist für mich das Hin und Her – wie ein Ball, der die Menschen und Kulturen verbindet“, sagt Tim Spreng und erklärt: „Psychedelic Rock entstand im Westen, unter anderem auch stark von Afroafrikanern beeinflusst. Dann wurde dieser Rock in Zambia gehört und neu interpretiert. Jetzt interessieren sich wiederum junge westliche Musiker dafür, von den Zamrockern zu lernen und sich inspirieren zu lassen. Es ist ein kreativer, zeitloser und interkultureller Kreislauf in sich.“
Den kompletten Film kann man für 4,50 Euro streamen, der digitale Pass für das Münchner Dokumentarfilmfestival kostet 50 Euro (noch bis 24. Mai).