Mit „FreiLuft“ der Krise trotzen

von Redaktion

Theater Herwegh nutzte Corona-Lockdown, um Open-Air-Konzept zu entwickeln

Wasserburg/Haag – Das Coronavirus mag keine frische Luft. Darum herrschen dort ideale Voraussetzungen, um Menschen zusammenzubringen – und mit Kunst zu unterhalten. Das Theater Herwegh hat ein neuartiges Modell entwickelt, während der Corona-Krise im Sommer 2020 doch noch Theater spielen zu können – und das immerhin vor 50 Zuschauern. Möglich macht dies nun die Bekanntgabe des Kulturministeriums, unter welchen Voraussetzungen Outdoor-Kultur ab Mitte Juni wieder stattfinden kann. Indoor sei dagegen viel zu aufwendig, um alle Vorschriften zu bewerkstelligen, so Jörg Herwegh.

Vagantentheater – alles aus einer Hand

„FreiLuft“ ist ein mobiles Konzept. Wie ein Vagantentheater kommt die Truppe – das sind die Ehepaare Constanze Baruschke-Herwegh und Jörg Herwegh sowie Kirsten und Steps Lossin – mit ihrem Transporter, baut alles an Kulisse samt Bestuhlung auf, spielt und baut nach der Vorstellung wieder ab – Desinfektion inkludiert. Der Haager Schlosshof steht als Freilichtbühne schon fest. Weitere geeignete Plätze werden noch gesucht. Die Gäste tragen Mund-Nasen-Schutz bis sie auf ihren Plätzen sitzen.

Das Konzept setzt auf 60-minütige Kleinformate – entweder als Solo-Auftritte oder Stücke mit allen vier Akteuren auf der Bühne, die natürlich den gebotenen Abstand einhalten – auch zu den Stuhlreihen.

Ein Pool mit zwölf verschiedenen Programmen – darunter auch Kindertheater, Kini-Schiaßer, Erotisch-Frivoles oder literarische Acts wie ein durchgeknallter Faust und sein Gretchen oder was zum Lachen – sei erarbeitet worden und werde immer wieder weiterentwickelt. „Nicht alles ist neu. Ich kann aus meinen 300 Programmen schöpfen, die ich in meiner 30-jährigen Laufbahn gespielt habe. Der Reiz heute ist die andere Form der Inszenierung“, so Herwegh.

Die Masken für das kindgerechte „RabenSchaben“ haben die Herweghs während des Lockdowns selbst gemacht. „Der Baumarkt hatte zu, es gab keinen Kleister. Also hab ich mit Mehlpapp gearbeitet, so wie früher meine Mutter in der Nachkriegszeit“, erzählt der 58-Jährige. Ohne Corona hätte er nie die Zeit dafür gehabt.

Keine Pause
bei „FreiLuft“

Eine Pause wird es bei „FreiLuft“ nicht geben, denn, wenn plötzlich alle gleichzeitig aufstehen, kann die vierköpfige Truppe das Hygiene-Konzept nicht mehr gewährleisten. Gänsemarsch nach dem Applaus heißt das Gebot der Stunde: Sprich, Steps Lossin wird sich als „komischer Diener“ ins Publikum stellen und die Zuschauer immer nur reihenweise und mit Abstand hinaus dirigieren. Der sogenannte „Walk Act“ gehört zum Konzept.

„Wir halten die Vorschriften korrekt ein. Umsetzen werden wir das nicht typisch Deutsch, sondern charmant lustig.“ Theater habe schließlich die Aufgabe, kreativ zu sein und die Menschen optimistisch gestimmt zu entlassen. Wichtig sei das personalisierte Ticketing – und das nicht nur wegen der Adressen, die man aufnehmen müsse, um eventuelle Infektionsketten nachzuvollziehen. „So können wir dann die Stühle für eine Familie zusammenstellen. Alle anderen Sitzplätze müssen zu allen Seiten den Mindestabstand von 1,50 Metern haben“, sagt Jörg Herwegh. Für das Auge sehe der Zuschauerraum mit der personalisierten Bestuhlung lebendiger aus, nicht so geometrisch.

Dabei atmet Herwegh hörbar auf. Wohl auch, weil es endlich einen Weg gibt, sich wieder den Unterhalt als Künstler selbst zu verdienen. Corona hat ihn und seine Kollegen, die von der Schauspielerei leben, hart getroffen. „Von heute auf morgen haben wir keinen Cent mehr verdient und das seit 1. März“, berichtet der Wasserburger, der sämtliche Tournee-Termine absagen musste und auch seine Pläne für den „Bayerischen Sommernachtstraum“, der für Juli im Haager Schlosshof geplant war. Das Stück wird nun in den September verschoben.

„Jammern hilft
aber nichts“

Mit dem Corona-Lockdown seien Herwegh und seine Frau erst einmal in ein Loch gefallen. Beide wussten sofort, sie müssen umdenken, ihr Theater neu denken, kleinere Brötchen backen. Sie erarbeiteten das Konzept „FreiLuft“, mit dem sie ihren Lebensunterhalt wieder selbst verdienen können und nicht am Tropf der Soforthilfen hängen müssen. Die Modalitäten der Künstlerhilfe seien chaotisch. Er habe allerdings Verständnis für die Überforderung der Politiker, „die nicht auf dem Schirm hatten, wie vielfältig und kleinteilig das kulturelle Leben in Bayern“ sei. Für die Betriebskosten seines Büros bekam er eine Unterstützung. „Der Effekt eines Durchlauferhitzers. Man darf ja nichts zu essen davon kaufen.“ Generell finde er den Weg der bayerischen Ministerien vernünftig: Lockerungen einführen und dann drauf schauen, wie es läuft.

„Wenn es noch einen Lockdown gibt, dann zerreißt es uns kleine Solo-Selbstständigen.“

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