Rott – Was passiert, wenn einen handfesten Handwerksmeister das Schreibfieber überkommt und er einen 400-Seiten-Roman hinlegt? Erfährt man dann alles, was man noch nie wissen wollte, aus seinem Arbeitsalltag? Mitnichten. Wenn Michael Engl, Pflastermeister aus Rott, in seinen Computer tippt, dann erfindet er nicht die Arbeiter-Literatur neu, sondern nimmt seinen Leser mit auf eine große, vergnügliche Abenteuer-Reise aus dem kleinbürgerlich miefigen, nichtsdestotrotz charmanten Heiding bis nach Yokohama.
„Ausgerechnet Japan?“ ist der Entwicklungsroman eines aufrechten jungen Mannes, der sich durchaus wohlfühlt in seiner kleinen Welt und dem kleinen Betrieb, der ihn ausbildet. Was Martin jedoch von seinen Spezln unterscheidet, die durchaus derbe Späße treiben, ist die Neugier. Er will einfach mehr wissen, hängt sich rein in Maschinenautomatik.
Und wie durch ein Wunder gelingt es ihm, die neue japanische Technik zum Laufen zu bringen, an der sich alle die Zähne ausgebissen haben. Notgedrungen, denn aus Versehen hatte er das ganze Betriebssystem gelöscht. Er schafft es, das System wieder aufzuspielen, und er findet schließlich den Fehler. Michael Engl zeichnet in amüsanten Episoden ein authentisches Lebensgefühl einer Jugend in der 80er-Jahren. Als Held des Betriebs, der sich nun die sündteure japanische Wartung spart, wird Martin sofort zum Chefprogrammierer ernannt. Er verdient gutes Geld und wird mit Arbeit überhäuft. Er hebt nicht ab, sondern wohnt nach wie vor bei Muttern und hängt mit den Arbeitern ab. Was ihm noch fehlt, wäre eine passende Freundin, die er jedoch nicht finden kann. Doch dann kommt ein neues Betriebssystem auf den Markt – und er wird ausgemustert. Repariert nun defekte Kopierer für eine kleine Firma. Bis man sich auf ihn besinnt, der sich mangels Privatleben ein exquisites Hobby gewählt hat: Er lernt Japanisch.
Um Aufträge an Land zu ziehen, wird Martin nun von der alten Firma wieder rekrutiert und nach Japan geschickt. Ein Desaster zeichnet sich ab. Doch dann trifft er in der Betriebskantine des großen Konzerns, dem er Aufträge abluchsen soll, auf eine schöne Frau. Und er spricht sie an – was kein anderer je gewagt hätte, denn sie ist die Tochter des Chefs, wie sich herausstellt. Die nimmt ihn sogar mit nach Hause. Hier in der Fremde baut Martin sich nach und nach ein eigenes Leben auf.
Er lernt diese andere asiatische Kultur kennen, mit der er durchaus kompatibel ist. Nur das Essen ist erst einmal gewöhnungsbedürftig. Durch die Liebe mit angespornt, erweitert er seinen Horizont, lernt, wie man Psychologie nutzt für Geschäfte. So werden er und seine Freundin ein erfolgreiches Paar, das in Krisensituationen rund um den Globus geschickt wird und die verrücktesten Abenteuer meistert.
Unter der Hand wird bei allen lustigen Geschichten in diesem Roman ein Lehrstück daraus, was zu einem gelingenden Leben gehört. Und das sind keinesfalls Geld und Konsum. Michael Engl lässt seinen Helden ein Stück heile Welt in einer gar nicht heilen Umwelt entdecken, die ganz von innen kommt. Ein Roman wie gemacht, um in Zeiten von Corona für gute Laune beim Leser zu sorgen.
Ute Fischbach-Kirchgraber