Rapunzel am Getränkemarkt

von Redaktion

Die Theaterinsel Rosenheim inszeniert das Grimm-Märchen unter freiem Himmel und setzt so auch ein Zeichen in der Pandemie

Rosenheim – Was braucht ein Theater? Die Inszenierung von „Rapunzel“ der Theaterinsel Rosenheim hat gezeigt, dass es keinen dunklen Saal braucht und keine komplizierte Bühnentechnik. Ein einfacher Parkplatz eines Getränkeplatzes genügt, um das Publikum in eine Märchenwelt zu entführen – besonders, wenn diese Kulisse raffiniert einbezogen wird.

Die verbitterte alte Hexe Frau Gothel entführt Rapunzel schon als Kleinkind. Sobald diese aber älter wird und sich nach anderer Gesellschaft sehnt, sperrt sie das Mädchen in einen Turm, um sie nicht an einen Mann zu verlieren. Ein solcher kommt dann natürlich gleich um die Ecke. Rapunzel und der Prinz verlieben sich unsterblich ineinander, verbringen eine Nacht miteinander und wollen heiraten. Gothel, gar nicht begeistert, verbannt Rapunzel in eine kalte Einöde und nimmt dem Prinzen das Augenlicht. Mithilfe der Tiere findet dieser seine Rapunzel, die dann noch einmal ihre ganze Kraft aufwenden muss.

Regisseurin Marie Elliot-Gartner macht aus dem klassischen Grimm-Märchen eine Geschichte über das Aufwachsen. Es geht um Rapunzels jugendliche Selbstbestimmung und die Überfürsorge der Hexe Gothel, die nicht wahrhaben will, ihre Tochter loslassen zu müssen. Ob dabei jeder doppeldeutige Witz ins Schwarze trifft, ist Geschmackssache. Die Inszenierung wird durch Lieder ergänzt: Als Rapunzel noch klein ist, erklingen Kinderlieder, später sind es Popsongs. Als Erwachsene schwärmt sie vor allem für männliche Gesellschaft und singt: „Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann.“ Man hätte sich Rapunzel emanzipierter gewünscht.

Ansonsten hat „Rapunzel“ alles, was man von einer klassischen Märcheninszenierung erwartet. Schneidige Mittelalterkostüme, eine Hexe mit Besen und langen Fingernägeln, die gruselige lateinische Zaubersprüche aufsagt und natürlich Märchenerzähler.

Grandios sind die Fenster des Getränkemarktes in Szene gesetzt. Rapunzel kann traurig in die Ferne schauen, die Figuren können zwischen ihnen hin und her huschen und sich über die Fenster hinweg unterhalten. Während der Prinz Rapunzel in der Einöde sucht, schwebt Frau Gothel bedrohlich über ihnen. Einen seiner besten Momente hat das Stück, wenn Justus Dallmer als Märchenerzähler minutenlang die Einöde beschreibt, mit gefühlt allen Adjektiven, die die deutsche Sprache zu bieten hat – um am Ende festzustellen, dass „sie gar nicht mehr so schrecklich war.“

Den Schauspielern merkte man die Freude an, wieder vor Publikum zu spielen. Suzy Hirl überzeugt in der Figur von Frau Gothel sowohl als verrückte Hexe als auch als eine etwas zu viel liebende Helikopter-Mutter. Pia Niederecker als Rapunzel besticht durch ihren schönen Gesang und schafft es mit Maxim Kruse als Prinz, die etwas flachen Figuren mit Leben zu füllen. Die Tiere, gespielt von Viktoria Reichert, Angela Putner und Jennifer Nassall, sorgen als „Sidekicks“ immer wieder für Lacher. Einzig ein wenig mehr Interaktion mit dem Publikum hätte das Ensemble noch aufgewertet.

Das Schönste an Rapunzel ist gleichzeitig das Banalste: Es kann stattfinden. Wie die beiden Liebenden Frau Gothels Zauber überwinden, konnte die Theaterinsel die Corona-Pandemie überwinden. Und dabei ein kreatives, unterhaltsames Stück aufführen, das – nur bei gutem Wetter – noch an folgenden Terminen zu sehen ist: am 28. (20 Uhr), 29. (20 Uhr) und 30. August (17 Uhr) sowie 4. (20 Uhr), 5. (20 Uhr), 6. (14 und 17 Uhr), 11. (20 Uhr), 12. (20 Uhr) und 13. September (17 Uhr).

Karten gibt es unter www.theaterinsel.de

sowie an der
Abendkasse.

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