Amerang – Coronabedingt durften im Schlosshof von Amerang nur wenige zuhören als mit Mozarts „Entführung aus dem Serail“ gezwungenermaßen der Vorhang fiel für diese – extra nachgeholte – Konzertsaison. Aber diese Wenigen applaudierten, als wären es viele, so glücklich waren sie, dass die Oper überhaupt gegeben wurde. Der Regisseur Ingo Kolonerics hatte die Oper stark gekürzt, sodass Belmontes Finden und Retten seiner Konstanze aus dem Serail des Bassa Selim sehr rasch über die Bühne ging. Überraschenderweise rückte so der Haremswächter Osmin in den Mittelpunkt, weil von seinen Arien und Liedern die meisten blieben.
Ein blonder
Kraftklotz
Noch dazu hat David Ragnarsson einen so wuchtigen, abgrundtief schwarzen Bass (der nur bei den schnellen Passagen zu schwerfällig blieb) und ist von Statur so furchteinflößend, dass kein Gedanke mehr an einen Eunuchen übrig blieb: Ein sehr potenter Haremswächter agierte da, ein – noch dazu blonder – Kraftklotz. Nur hätte der Regisseur ihm auch noch etwas in die Hand geben sollen, was seine Aufgabe zeigt, etwa eine Peitsche oder einen Säbel, sodass seine von ihm schwärmerisch gesungenen Foltermöglichkeiten („erst geköpft, dann gehangen…“) bildhaft geworden wären. Belmonte (Waku Nakazawa) wirkte neben diesem Kraftprotz klein und fein, sang auch feiner und feuriger mit hinreichend guter Technik, die ihn vor Überforcierung schützte.
Orhun Tarlaci als Belmontes Diener Pedrillo muss noch mehr in seine Bühnenrollen hineinwachsen. Stella Dicusara hatte als Ersatz die Rolle der Blonde übernommen, was sie spielerisch und stimmlich gut bewältigte, auch wenn sie in einer Ensemble-Szene durch eine Sängerin von außen ersetzt werden musste, weil dafür dann doch keine Einlernzeit mehr geblieben war: Corona brachte vieles durcheinander. Aber ganz schnippisch foppte sie Osmin und brachte ihn mit mädchenhafter Koketterie ganz schön auf die Palme. Eindrucksvoll glänzte Melis Cirpici als Konstanze: Die „Martern“-Arie meisterte sie mit gut gestanzten Spitzentönen und geradezu gejauchzten Koloraturen, mit denen sie sich in eine Art Todeswut hineinsteigerte. Das beeindruckte sichtlich auch den Bassa Selim (Nejat Isik Belen), der sie und Belmonte dann auch begnadigt. Patrick Murray animierte das kleine Orchester zu einem moussierenden, ja übersprudelnden Spiel, in dem federnde Schlankheit dominierte, das orientalische Kolorit mit Tschinellen und Triangel kam schön heraus, der Pauker schlug punktgenau und empfindsam, die Geigen waren aufmerksam genau und hochempfindsam. Alles hatte etwas von Endzeitstimmung und nochmaligem musikalischen Aufbäumen und Demonstration der lebensnotwendigen Existenz von Musik und Kultur überhaupt: Es war das letzte Konzert für lange.