Ein Schrift-Gelehrter von doppelter Bedeutung

von Redaktion

Nachruf Typograf und Schriftkünstler Josua Reichert verstorben

Stephanskirchen – Wie erst jetzt bekannt wurde, ist der Typograph und Schriftkünstler Josua Reichert in seiner Heimatgemeinde Stephanskirchen am 31. Oktober im Alter von 83 Jahren gestorben. Vor zwei Jahren hatte er noch aus den Händen von Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer den Kulturpreis der Stadt Rosenheim 2018 entgegennehmen können.

Josua Reichert wurde 1937 in Stuttgart geboren, studierte vor allem bei HAP Grieshaber, eröffnete 1960 seine eigene Werkstatt in München und wohnte seit 1972 in Haidholzen. Ein früher Höhepunkt seiner Laufbahn war die Teilnahme an der Dokumenta IV in Kassel im Jahre 1968. Arbeiten von Josua Reichert sind in zahlreichen öffentlichen Einrichtungen zu bewundern, in Universitäten, Bibliotheken, Schulen, Krankenhäusern oder Gerichten. Gabriele Bauer bezeichnete damals Josua Reichert, der vielfach preisgekrönt war und schon mehr als 200 Ausstellungen hatte, als einen der wichtigsten deutschen Bildenden Künstler des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart auf dem Gebiet der Druckgrafik. Aufgrund „der immensen Belesenheit des Künstlers und seines hohen Anspruches an sich selbst“ nannte Frau Bauer den Preisträger „einen Schrift-Gelehrten in des Wortes doppelter Bedeutung“.

Zwei seiner Werke zieren das Rosenheimer Rathaus: „Rosenheims fliegender Teppich“ an der Decke des kleinen Sitzungssaales mit einem antiken Palindrom (das ist eine sinnvolle Folge von Buchstaben oder Wörtern, die vorwärts wie rückwärts gelesen werden können) und eine Goethe-Maxime im Foyer des Rathaussaales. Auch die Grundschule Schloßberg ist mit mehreren Werke Reicherts geschmückt.

Poesie
ohne Sprache

Er bezeichnet diese Bilder als „Poesia Typographica“, also eine „Poesie ohne Sprache, aber mit Schrift und Buchstaben“, es seien Bilder mit dechiffrierten Buchstaben, neu zusammengesetzt zu Buchstabenarchitekturen und Buchstabenlandschaften mittels Kompositionen aus Kreisen, Punkten, Linien, Dreiecken, Rechtecken. „Mit schier überbordender Fantasie spielt der Künstler mit der Varianzbreite der Typografie, lotet deren Zerlegung und Neuanordnung aus.“

Er drucke in lateinischen, griechischen, kyrillischen, arabischen und hebräischen Lettern, „Das meisterhafte Zusammenspiel von Typografie und Text verschmilzt in seinen Bildern zu einer Einheit, die Lesen und Sehen erfordert. Schrift und Literatur werden zu Bildender Kunst – zum Kunstwerk“, resümierte die Laudatorin. Kurz und humorvoll hatte damals Josua Reichert seinen Dank gehalten: Auf eine Frage, wieso er all dies könne, antwortete er in seinem heimatlichen schwäbischen Dialekt: „Des woisch i halt, des kann i halt, des mach i halt – und jetzt gang i halt!“ Jetzt ist Josua Reichert endgültig gegangen. Rainer Janka

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