Stephanskirchen – Für einen Besuch beim 77-jährigen Ausnahmekünstler Rudl Endriß, der immer noch vor Ideen strotzt, muss man sich viel Zeit mitnehmen. Denn er ist ein unterhaltsamer und ein aufmerksamer Gastgeber, aber mehr noch: Es gibt so viel an Kunst in seinem Wohnhaus, in seinem Atelier, oder sollte man es besser Werkhaus nennen, im Keller und im großen Garten zu entdecken.
Verschmitzt-strahlende, vor Energie funkelnde Augen, das ist das Erste, was einem bei Endriß bei der Begrüßung auffällt. Dass er seit einem Schlaganfall vor 28 Jahren noch immer körperlich eingeschränkt ist, lässt sich nicht übersehen, aber seine Liebenswürdigkeit und sein Charme machen diesen kleinen äußerlichen Makel wett.
Ausstellungen
in ganz Europa
Fachlehrer, Hochschullehrer, Maler, Schnitzer, Metall-Bearbeiter, Bildhauer, Kurator – viel hat er gemacht in seinem Leben, und genauso vielfältig ist auch seine Kunst.
Jedes Material gibt in seinen Augen „was her“, er arbeitet mit Stein, Holz, Metall, Papier, Stoff, Wolle und Gips. Jährliche Ausstellungen seit knapp fünf Jahrzehnten quer durch Deutschland und Europa zeugen von seiner nach wie vor ungebrochenen Schaffenskraft. In seinem Wohnhaus, verborgen mitten im Gewerbegebiet Schwabering-Söchtenau, und umgeben von hohem Wald, beweist Endriß‘ Gespür für Farben und für kunstsinniges Arrangements. Modern-minimalistisch ist der Wohnraum: Ein Kelim-Teppich auf dem hellen Eichenboden, dunkle Möbel, weiße Wände, gebatikte Kissen, graue Tagesdecke auf dem Diwan.
Allein der Esstisch prunkt, ein ehemaliger Altartisch aus Travertin, über 700 Kilogramm schwer. In die Mitte dieses Steins hat Endriß ein quadratisches Holzstück „gepflanzt“: ein Stück Mooreiche, 9000 Jahre alt, mit Gold und Silber verziert. Die Metall-Farben, sich wiederholende Kennzeichen seiner Kunst, trägt er mit wenigen Pinselstrichen auf viele seiner Kunstobjekte auf.
So nehmen die sogenannten Hausgeister, schlichte, kaum 30 Zentimeter große und in ihrer Form auch an ein einfaches Kreuz erinnernde Hölzer, mit Gold und Silber veredelt, eine schmale Wand ganzflächig ein.
Treppenhaus und erster Stock sind private Ausstellungsräume mit Fotografien seiner selbst entworfenen goldenen Halsketten. Neben parallel angeordneten und fast einen Meter großen länglichen Messingplatten, in die der Künstler schwungvoll Linien hineingeschnitten hat, hängen Gemälde in unterschiedlichsten Techniken, ein kupferner überdimensional-großer Fächer ziert ein Gästebett. Alles scheinbar wild durcheinander, und dennoch mit Gefühl für Farbe und Form inszeniert.
Der Keller wirkt – im Gegensatz zur Freifläche hinter dem Haus – aufgeräumt: Dort unten lagern auf Kiesbett und Gitterparavents Metall- und Holzoeuvres mit Gold und Silber verziert, Holzplastiken und Bronzeabgüsse gesellen sich adrett dazu.
Draußen im Freien sowie im Werkhaus herrscht hingegen kreatives Chaos: Zu bewundern sind stählerne, filigrane Figuren auf Holzstelen, eine alte, verrostete Zapfsäule, Steine, die einen Brunnen bilden. Da sind Stahlbleche, die in Granit gesetzt wie wippende Blumenstängel anmuten, Straßenschilder, die zu Stühlen und Bänken auf Metallbeinen umgebogen wurden, weiß lackierte Metallschilder, in die Endriß Substantive geritzt hat.
Vier Granitplatten liegen übereinander als Stein der Liebe, in dem 24 Wort-Findungen wie Liebes Kummer, Liebes Film, Liebes Qual und Liebes Zauber verewigt sind. Überhaupt Worte: Für ihn, der nach seinem Schlaganfall mühevoll wieder sprechen lernen musste, ist Sprache etwas Besonderes, er spielt mit Worten, hinterfragt ihren Sinn und durchleuchtet sie. Dem Betrachter bietet sich allerorten ein Sammelsurium an Schätzen: Endriß‘ Leben in Schritten von fünf Jahren auf Schwarz-Weiß-Fotos oder kleine Kartons aus einem Kaufmannsladen marktschreierisch-werbewirksam hinter Glas in Szene gesetzt, Schaufensterpuppen, Gartenzwerge, Bilder, Teppiche, Leinensäcke, Baumwolltücher, Holzfiguren, Metall – für alles findet Endriß eine Verwendung.
Exponate Teil
der Umgebung
Endriß‘ Exponate in Holz, Metall, Stein, Marmor, Bronze oder Gold fügen sich in die Umgebung, seien es die Stahlstelen in der Schmucken unweit des Romed-Klinikums, die Granitblöcke vor dem Lokschuppen, das „Mannschgerl“ vor der Grundschule Halfing oder die 24 Plastiken an der B&S- Tankstelle in Söchtenau.
Da kann, nein, da muss man sich nur Kulturreferent Christoph Maier-Gehring anschließen, der 2013 anlässlich der Verleihung des Kulturpreises des Landkreises an Endriß in seiner Laudatio erklärte: „Seine Exponate sind an vielen öffentlichen Orten in der Region zu finden. Wir nehmen sie fast schon als selbstverständlich wahr, als zu unserem Leben gehörig.“