Wasserburg – Welche Botschaft bringt der Inn, wenn er – einem Signal gleich – die Leute, die an ihm wohnen, dadurch taub macht, dass er, wie es dem Dichter scheint, nicht enden will? Als jahrzehntelanger Bewohner der Innstadt Wasserburg lässt Hans Baumgartner den ihm selbst wohlvertrauten Fluss daran vorbei ziehen – „ungehört unbelauscht“ – mit einem „tiefen fagottton“.
Das sechszeilige Gedicht drückte der kleine Verlag in weißen Lettern dem blauen Rücken der kleinen, feinen papierenen Neuerscheinung auf:
Der Inn
Mit tiefem fagottton
zieht er an der stadt
vorbei
ungehört unbelauscht
wie ein signal
das durch sein
nichtendenwollen
die leute taub macht
für die botschaft
Es ist nicht das einzige Gedicht in Kleinbuchstaben und „mit ohne“ Satzzeichen. Da gibt es noch eines, das an das kleingedruckte „gesprochene“ Abc (a – be – ce … bis ypsilon – zet) verschmitzt die Frage hängt „a – ber – was – kommt – nach dem Al – pha – bet – ?“ Das Schnippchen, das Hans Baumgartner dem Leser, von a bis zet geeicht auf durchgängige Kleinschreibung, schlägt, ist das letzte Wort „Alphabet“, zusammen mit dem Fragezeichen.
Auf solche Schnippchen möge sich der Leser des brusttaschengerechten Bändchens, eingeteilt in die Abschnitte „Hinter der Mauer“, „Sanduhr“ und „Unter uns“, gefasst machen. Und auf viele, viele Fragen. Auf solche, die er von Baumgartner direkt gestellt bekommt wie „Was ist hinter der Mauer?“ und auf noch viel mehr, die dem Leser beim „Zeilenwandern“ durch das Opus Novum des seit 1975 Prosa und Lyrik publizierenden Wasserburger Pädagogen durch den Kopf gehen dürften.
War es schon der Aphoristiker („Die Wolken von gestern“, 2009), so ist der Gedichte-Schreiber Hans Baumgartner ein Gedankenblitze-Versender geblieben. Kein Natur-Beschwörer. Eher ein Natur-Abhörer. Ein Lyriker, der die Dinge in ungewöhnliches Licht stellt und mit changierenden Farben versieht – wie etwa die Bauwerke seines bekannten Heimatortes in den Anfangszeilen des Textes „Stadthäuser“:
Finger der Stadt.
Von Knöchel zu Knöchel
über die Möndchen
der Nägel hinaus
ins Blau, ins Grau
gereckt …
Ein Wortakrobat, bei dem es geschehen darf, dass die Nacht in den Tag verliebt ist und die Lunte eines in die Ferne starrenden Fuchses es rot in den Schnee tropfen lässt. Baumgartner schöpft glückhaft aus dem Wörterbuch des Fantastischen. Freilich um den Preis, dabei Gefahr zu laufen, nicht auf Anhieb und auch nicht voll und ganz verstanden zu werden. Wörter wie „spitzunter“, „Segensbaumwedel“ oder „glistern“ sind im Duden nicht zu finden. Die darf der Leser sich selbst erklären. Er gönne sich nur genügend Spiel-Raum des Auf-sich-Wirken-Lassens, um den Sinn darin zu erspüren.
Mit den 79 meist auf einer einzigen Seite Platz findenden Gedichten hat es der Autor nicht darauf angelegt, allgemein gängige Zustände oder „Ansichten“ zu schildern. Kein Drauflos-Lachen, auch kein „Aha!“ ist beabsichtigt. Eher die Aufforderung zum allmählichen Gewahr-Werden der Welt draußen, mehr noch der Welt drinnen.
Vieles ist bewusst und gekonnt uneindeutig in Worte gegossen. Oft in Teekesselbegriffe. In farbige, oft gar nicht einwandfrei erklärliche Metaphern. Nie weinerlich ist Baumgartners Blick zurück, sondern stets einverstandene Nostalgie. Besonders einleuchtend um Vorschein gebracht in dem vorletzten Text mit dem Titel „Firmament“:
Wie früher
Schneiderkreiden
haben heute die Leute
Flugzeugbahnen
hinter den Ohren
und nächtens
blickt das schwarze
Seidenfirmament,
gelöchert von Signalen,
schweigend sie an.
Nur die Scheren
auf den Türmen
landauf, landab
schnibbeln immer noch
nach allen Seiten,
Tag für Tag und
Nacht für Nacht,
als ob sie den Stoff
nicht zu fassen kriegten.