Seit etwa drei Jahrzehnten schreibt die in Reit im Winkl lebende Autorin Roswitha Gruber akribisch recherchierte und lebendig gestaltete Lebensgeschichten starker, vor allem aus dem ländlichen Raum stammender Frauen und lässt ihre Leserschaft in die Lebenswirklichkeit vergangener Zeiten eintauchen.
Im Mittelpunkt ihrer neuesten, breit angelegten Familiengeschichte, die gerade als Fortsetzungsroman in den OVB-Heimatzeitungen erscheint, steht die 1931 geborene Bäuerin Liesi, die auf einem Einödhof in der Nähe von Dorfen als älteste von acht Geschwistern aufwächst und als Mutter von sieben Töchtern ihr nicht einfaches Leben meistert.
Dabei erzählt Gruber nicht nur in gewohnter Ausführlichkeit vom Alltagsleben der Liesi, sondern stellt auch die Vorgeschichte und die Lebensverhältnisse ihrer unmittelbaren Vorfahren anschaulich dar. Dann schildert sie in der Rolle der Liesi als Ich-Erzählerin deren Erlebnisse von Kindheit an. Wir erfahren, dass sie zu Fuß eine Stunde nach Grüntegernbach bei jeder Witterung zur Schule gehen muss und deshalb zu Schulbeginn 1938 ihre ersten Schuhe bekommt. Ferner, dass sie damals schon ihre erste Erfahrung mit dem Regime machen muss, indem sie von der Lehrerin angefaucht wird, weil sie nicht mit „Heil Hitler!“, sondern mit „Grüß Gott!“ gegrüßt hat.
Überhaupt ist der Schulweg im Verlauf des Krieges wegen der Bomber und Tiefflieger immer gefährlicher geworden. 1944 haben sich dann SS-Offiziere im Einödhof einquartiert, die aber dann beim Einmarsch der Amerikaner sehr schnell die Flucht ergreifen.
In der Nachkriegszeit kommen die hungernden Städter aus München zu Hamsterkäufen, und Liesl sammelt ihre Erfahrungen als Bedienung in einem Gasthaus, bis ihr die Zudringlichkeiten der Männer zu viel werden und sie sich als Dirn (Magd) auf einem Bauernhof verdingt. Durch die Heirat mit Hans aus Buchöd wird Liesi 1953 schließlich selbst Bäuerin auf einem Einödhof und gebiert ihrem Ehemann acht Töchter, von denen eine an Lungenentzündung stirbt und deren unterschiedliche Lebenswege ebenfalls zur Sprache kommen: Eine wandert schließlich nach Australien, eine andere nach Kalifornien aus.
Zu den nicht einfachen Umständen kommt nun hinzu, dass sich Liesis Schwiegermutter als regelrechte „Bissgurn“ (Beißzange) erweist und allen das Leben schwer macht. Doch Liesi meistert all diese Schwierigkeiten mit Gelassenheit, bestärkt durch die tröstenden Worte ihrer Mutter: „Wir sind ja nicht im Himmel“.
Neben der Gestaltung unterschiedlicher Charaktere und menschlicher Gefühlslagen gelingt der Autorin auch die Darstellung kulturgeschichtlich interessanter Aspekte. So finden Begriffe wie „Bezugsschein“, „Gsotmaschine“ oder „Karrer“ im Zusammenhang ebenso ihre Erklärung wie etwa die Tatsache, dass man erhitzte Ziegelsteine zum Aufwärmen in die kalten Betten gelegt hat. Auch der Weg vom Korn zum Brot wird ausführlich beschrieben.
Wem die vielen Namen, Personen und Schicksale in dieser bewegenden Lebensgeschichte zu kompliziert sind, für den ist am Schluss des Buches noch ein Stammbaum angefügt, der bis 1864 zurückreicht und einen genauen Überblick über das verwandtschaftliche Beziehungsgeflecht der 2020 verstorbenen Bäuerin und Mutter schafft. Richard Prechtl