Rosenheim – Zum 70. Geburtstag hat sich Gerhard Prokop selbst beschenkt mit einem umfangreichen Werkkatalog, der viele seiner „Stadtlandschaften“ beinhaltet und einen Überblick über 15 Jahre Schaffen gibt. Erhältlich ist das Buch im Laden des Städtischen Museums Rosenheim im Mittertor. Drei Bilder mit Rosenheimer Motiven – „Kleppersteg“, „Betriebswagenwerk“ und „Bahnhof“ – machen im Museums-Schaufenster auf den Katalog aufmerksam.
Wunde in der Natur dokumentiert
Gerhard Prokop rückte letztes Jahr mit zwei Werken in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Da ist zum einen das Porträt der damals scheidenden Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer, ein offizieller Auftrag für die Galerie der Oberbürgermeister im Rosenheimer Rathaus. Zum anderen sein großformatiges Panoramabild „Westtangente“, ein selbst gewähltes Thema, auf dem der Rosenheimer Künstler die riesige Wunde darstellt, die der Bau der Umgehungsstraße durch den Wald bei Wernhardsberg schlägt, und für das er den Kunstpreis des Kunstvereins Rosenheim erhielt. Es spricht für die Stadt Rosenheim, dass sie das Bild ankaufte, und für Oberbürgermeister Andreas März, dass er es in seinem Büro aufhängte. Nun also zweimal Prokop im Rathaus, ein Porträt und eine Landschaft, und in beiden Bildern demonstriert der Künstler seine klare Sicht und seine konzentrierte Sprache. Gerhard Prokop beschönigt nichts, er ist ein unbestechlicher Zeuge der Wirklichkeit und der Wahrheit.
Seit 15 Jahren widmet sich der Sohn des Rosenheimer Malers und Grafikers Karl Prokop (1914 bis 1973) seinen „Stadtlandschaften“, in denen er mit scharfem Blick und viel Liebe zum Detail Szenerien in „Rosenheim und anderswo“, wie seine sehr erfolgreiche Ausstellung 2012 im Städtischen Museum titelte, aufgreift und malerisch umsetzt. Den Hyperrealisten reizen ungewöhnliche Perspektiven, unerwartete Kombinationen und unentdeckte Motive. Der Maler lehrt uns das Sehen, denn vieles davon kennen wir, haben es aber offensichtlich noch nie bewusst wahrgenommen.
Mit seinen „Stadtlandschaften“ ist Gerhard Prokop zum unbestechlichen Beobachter der Veränderungen in seiner Heimatstadt Rosenheim geworden. Kein anderer zeitgenössischer Künstler dokumentiert das örtliche Geschehen so klar und über einen so langen Zeitraum. Vieles, was der Rosenheimer in seinen Panoramabildern festhält, ist schon Vergangenheit, so das Capitol-Kino. Wie er das Geschehen rund um sich dokumentiert, so dokumentiert der Maler auch seinen eigenen Werkprozess. Jeder kann auf seiner Website (www.gerhard-prokop.de) die Entstehung des gerade aktuellen Bildes verfolgen. Mehr Transparenz geht nicht.
Gerhard Prokop schätzt Strukturen, sie geben seinen Bildern Proportion und Linie. Kein Wunder, dass oftmals Straßen, Brücken, Gleise, Flussläufe oder Kanäle im Mittelpunkt stehen, und damit Bahnhöfe, Parkhäuser, Tankstellen, Uferbereiche mit Gebäuden. Architektur überhaupt, denn diese Verkehrswege machen ohne die Stadt und ihre Gebäude keinen Sinn. Was fehlt ist der Mensch. Prokop entfernt ihn komplett aus seinen Digitalfotos, die ihm als Grundlage seiner Bildgestaltung dienen. Dennoch ist der Mensch vorhanden, indirekt, durch sein Wirken und Schaffen, durch sein Bauen und Gestalten, durch sein Vereinnahmen der Natur.
Doch Prokop geht es in seinen „Stadtlandschaften“, die sich von Hamburg bis Neapel, von Paris bis Budapest, ja bis Kairo, ins indische Varanasi und in die Atacama-Wüste in Chile erstrecken, nie um eine oberflächliche Wiedergabe. Das wäre zu billig. Den Canaletto-Blick überlässt er anderen. Hinter den offensichtlichen Ansichten liegen mehrere Ebenen des Bildinhaltes. Subtiler Humor fällt ins Auge, wenn aus prall-bunten Nana-Brüsten Wasser vor einer Pariser Kirche spritzt, auf dem Parlamentsgebäude in Wien ein temporäres Häuschen sitzt, der Flakturm im Augarten Teil einer barocken Garteninszenierung ist oder in Neapel eine Christusfigur vor einer Satellitenschüssel steht.
Politische Statements fehlen nicht, wenn in Mumbai ein Bollywood-Filmplakat über Zelten von Obdachlosen am Straßenrand hängt und eine bessere Welt vorgaukelt, wenn derbvBlick auf verfallende Häuser im Istanbuler Viertel Tarlabasi eine untergehende Welt zeigt, die der neuen Türkei weichen muss. Oder wenn auf der Renovierungsplane am Palazzo Reale in Neapel die Porträts von Mafiaopfern mahnen.
Verborgene persönliche Schicht
Ganz tief im Hintergrund rauscht in den Bildern eine sehr persönliche Schicht, die sich nur im Gespräch mit Gerhard Prokop offenbart. Dann öffnen sich einige der Bilder als Erinnerungen an Verstorbene, wie der Steg über die Prien für den Malerkollegen Heribert Wappmannsberger oder ein Kanal in Paris für die geliebte Gefährtin Andrea. So werden die „Stadtlandschaften“ zum Spiegel der Seele des Künstlers.