Inning/Stephanskirchen – Die in Inning am Ammersee lebende Journalistin Jenny Schuckardt, studierte Politologin und preisgekrönte Autorin, hat für Zeitschriften und Online-Medien im In- und Ausland gearbeitet. Aufgewachsen ist sie in Stephanskirchen. Neben zahlreichen Reiseführern hat sie auch Kinder- und Jugendbücher verfasst und zusammen mit Kilian Kleinschmidt in dem Band „Beyond Survival“ die Schicksale von Flüchtlingskindern dokumentiert. Ihr jüngstes Buch ist der in der „Edition Förg“ erschienene Zeitzeugen-Roman „Einsatz über den Wolken“, in dem sie die Lebensgeschichte des Jagdfliegers Gerhard Thyben (1922 bis 2006) erzählt.
Wie kommt eine Autorin, die Reiseführer verfasst, Kinderbücher schreibt und sich für Flüchtlingskinder einsetzt dazu, die Biografie über einen Jagdflieger des Zweiten Weltkriegs zu gestalten?
Im Februar 2020 war ich in Kolumbien am Orinoco auf den Spuren Alexander von Humboldts und wollte im März zurückfliegen. Wegen der Corona-Krise saß ich aber bis Ende Juni in Kolumbien fest. In dieser Zeit stieß ich auf Hinterlassenschaften des Piloten Gerhard Thyben, der dort seinen letzten Lebensabschnitt verbracht hatte und dessen spannende Laufbahn mich so faszinierte, dass ich sie für die Nachwelt erzählen wollte.
Wie ist das vor sich gegangen, warum ausgerechnet Gerhard Thyben?
Thyben war ein Freund meines Onkels, der an der Universität von Bogotá unterrichtete und Präsident des deutsch-kolumbianischen Freundeskreises war. Als Vorsitzende dieses Kreises in München habe ich mit ihm mehrere Hilfsaktionen für arme Kolumbianer durchgeführt.
Was waren bei dieser doch sehr detaillierten Lebensgeschichte und den vielen konkreten zeitgeschichtlichen Bezügen Ihre Quellen?
Für die Fakten und flugtechnischen Einzelheiten stützte ich mich auf den holländischen Historiker Rob van den Niewendijk, der sich seit vielen Jahren mit Thyben beschäftigt und selbst ein begeisterter Flieger ist. Zudem halfen mir dessen australischer Kollege und Freund Andrew Arthy weiter.
Auch Thybens Gedanken und Gefühle, vor allem seine zunehmend regimekritischen Reflexionen, stellen Sie ja sehr anschaulich dar. Mussten Sie da vieles erfinden?
Fast gar nichts. Ich hatte da seine Aufzeichnungen und Tagebücher. Auch mit seinem Sohn, dem er vieles aus der Zeit des Krieges erzählt hatte, konnte ich ausführliche Gespräche führen. Die vielen Fotos gaben mir eine genaue Vorstellung von den Ereignissen. Wichtig war mir dabei, dass Thyben kein Bomben werfender Kampfflieger, sondern ein Jagdflieger war, der in der Luft für die Verteidigung zuständig ist. Ein Buch über einen Kampfflieger hätte ich nie geschrieben.
Thyben entwickelt sich ja im Laufe des Krieges, als er an der finnischen Grenze und im Baltikum im Einsatz ist, immer mehr zum Kriegsgegner…
Ja, er war auch niemals in der Partei. Alles, was er wollte, war fliegen. Das Grauen des Krieges und die Verbrechen wurden ihm erst nach und nach bewusst. Nach dem Krieg pflegte er sogar Freundschaften mit seinen einstigen Gegnern aus den USA.
Könnte man da auch eine Art Botschaft herauslesen?
Durchaus. Wichtig war mir, dass die Sinnlosigkeit und Perversität solch eines Krieges, wie sie Thyben empfunden hat, sichtbar wird. Außerdem wollte ich die Zeit damals dem heutigen Leser näherbringen. Das Buch steht deshalb auch in der sehr verdienstvollen Reihe der Zeitzeugenbücher des Verlegers und Autors Klaus G. Förg, die die geschichtlichen Ereignisse von allen Seiten beleuchten.
Die Thematik dieser Biografie weicht ja ab von Ihrer sonstigen schriftstellerischen Tätigkeit…
Ja, ich habe 45 Reiseführer geschrieben und nebenher Kinderbücher verfasst, aber mein Herzensprojekt war „Beyond Survival“, das Buch über die Flüchtlingskinder.
Wie kam es dazu?
Ich war damals auf Lesbos, und mir blutet das Herz, wenn ich sehe, dass sich an den unglaublichen Zuständen seither nichts geändert hat. Die Corona-Krise hat sogar alles in den Hintergrund gedrängt. Mit „Beyond Survival“ war ich auch schon in elf Städten auf Lesereise, auch in Rosenheim, und habe Zuhörer zu Tränen rühren können.
Wäre dieses Buch als Schullektüre geeignet?
Selbstverständlich, es gab auch schon Anfragen von Lehrkräften, die das Buch in der Schule vorgelesen haben. Ich sehe es als meine Aufgabe als Journalistin, die Menschen darüber zu informieren und sie auch zu berühren.
Gibt es Pläne in Sachen Zeitzeugenbücher?
Ja, jetzt, wo ich da so eingetaucht bin in die Zeit und mir vorstelle, was Frauen im Krieg gelitten haben, ist geplant darüber für die „Edition Förg“ zu schreiben.
Interview: Richard Prechtl