Vom Fähnleinführer geohrfeigt

von Redaktion

Literarischer Spaziergang durch Traunstein auf den Spuren des Schriftstellers Thomas Bernhard

Traunstein – „Die Großväter sind die Lehrer, die eigentlichen Philosophen jedes Menschen, sie reißen den Vorhang auf, den die anderen fortwährend zuziehen.“, schreibt der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard in seiner Autobiogra- fie „Ein Kind.“ So verwunderte es nicht, dass Willi Schwenkmeier seinen literarischen Spaziergang auf den Spuren Thomas Bernhards vor der ehemaligen Friedhofskirche St. Georg in Traunstein mit einem Gedicht von Bernhards Großvater Johannes Freumbichler begann. Gute zwei Stunden führte der pensionierte Realschullehrer sachkundig und kurzweilig zu Stationen, die für den jungen Thomas Bernhard in dem oberbayerischen Städtchen von Bedeutung waren.

In Traunstein, wohin der kleine Thomas 1937 mit seiner Mutter und ihrem Mann, dem Friseurgesellen Emil Fabjan von Seekirchen am Wallersee gezogen war, besuchte er die Volksschule. Von der Schaumburger Gasse zur Volksschule, die schräg gegenüber dem Gefängnis liegt und heute die Franz-von-Kohlbrenner- Hauptschule ist, hatte Bernhard eine Viertelstunde mitten durch die Stadt zu gehen. In der Schule sei der „Esterreicher“ dem Spott seiner Klassenkameraden hilflos ausgeliefert gewesen und habe an Selbstmord gedacht.

Fluchtpunkte, so Schwenkmeier, seien für Bernhard das sogenannte Wochinger-Eck gewesen, ein auch heute noch beliebtes Ausflugsziel der Traunsteiner, wo er im Gras gelegen und geheult habe. Auch der Bahnhof, von wo die Züge nach Ruhpolding und Salzburg abfuhren und man damals eine Bahnsteigkarte erwerben musste, um auf den Bahnsteig zu gelangen, sei solch ein Fluchtpunkt gewesen.

Ausführlich schilderte Schwenkmeier Bernhards kläglich gescheiterten Versuch, seine Salzburger Tante Fanny mit dem viel zu großen Fahrrad seines Onkels zu besuchen. Die Kette des Rades reißt, der Junge betritt nach einer Odyssee im Gewitterregen öl- und blutverschmiert völlig erschöpft einen Gasthof und wird schließlich von Bauernburschen morgens um 3 Uhr wieder daheim vor der Haustür abgesetzt.

Einen Blick auf Ettendorf und die spektakuläre Eisenbahnbrücke erhielten die Teilnehmer von der Dentistenstiege, der heutigen Thomas-Bernhard-Stiege. In der Langeweile der Nachmittage hätten Bernhard und seine Mitschüler an der Weinleite Steine und Holzprügel auf die Gleise gelegt, um Lokomotiven zum Absturz zu bringen. Die Vorstellung, dass ein kleines Päckchen Dynamit an einem einzigen der Träger angebracht die ganze Brücke zum Einsturz bringen könnte, wie der Großvater fachmännisch erklärte, faszinierte den Jungen.

Skurril war die Anekdote, als Bernhard beim Jungvolk in einer braunen statt schwarzen Schnürlsamthose antritt und ihn dafür der Fähnleinführer ohrfeigt; bitter, dass die Familie das salzburgische Saalfelden mit Saalfeld in Thüringen verwechselt, wohin der Junge in ein NS-Internat geschickt wird.

Schwenkmeiers literarischer Spaziergang sei jedem Bernhard-Fan ans Herz gelegt. Eine vorherige Lektüre von „Ein Kind“ aber ist empfehlenswert, um die im Buch geschilderten Erlebnisse auch genau nachvollziehen zu können.Georg Füchtner

Weitere Termine

Weitere Führungen am Samstag, 26. Juni, und Samstag, 3. Juli, jeweils um 15 Uhr. Beginn ist am Kulturzentrum Traunstein. Anmeldungen unter Stadtbibliothek Traunstein, Telefon 0861/164480.

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