Zwischen Opportunismus und Zivilcourage

von Redaktion

„Jugend ohne Gott“ in zeitgenössischer Adaption am Theater Wasserburg

Wasserburg – Begeisterung und gleichzeitig ein wenig Beklemmung hinterließ die Inszenierung „Jugend ohne Gott“ der Münchner Schauspielschule Zerboni beim Publikum im Theater Wasserburg.

Ödön von Horváths Romanvorlage „Jugend ohne Gott“ von 1937 thematisiert den schmalen Grat zwischen Stillschweigen und ethisch-moralischer Verantwortung des Einzelnen, sich einer entmenschlichten Gesellschaft entgegenzustellen. Noch im Jahr des Erscheinens wurde „Jugend ohne Gott“ von den Nazis verboten. Das Werk war unvereinbar mit der nationalsozialistischen Ideologie. Heute gilt „Jugend ohne Gott“ als literarisches Meisterwerk. Es steht bildlich für einen wachrüttelnden Appell, Misstrauen, Denunziantentum, Ausgrenzung und den Verwerfungen einer totalitären Gesinnung entgegenzutreten.

Überforderung
und Anpassung

Die Schweizer Autorin Tina Müller hat Handlung und Figuren des Romans für das Theater aufgegriffen und in ein zeitgenössisches Bühnendrama gepackt. Sie begibt sich dabei auf die Seite der Schüler und thematisiert deren Befindlichkeiten und Sehnsüchte. Dieser spannende Perspektivenwechsel erweitert Horváths Urfassung um die Überforderungen der Jugendlichen in einer Social-Media-Gesellschaft. Längst haben Influencer die Funktion früherer Vorbilder eingenommen; die Anzahl der Follower dominiert die Lebenswelt der Gegenwart. Der Lehrer hat dabei seine ursprüngliche Rolle verloren.

Erste Liebe, die Tätersuche in einem Mordfall und das Streben nach Gerechtigkeit summieren sich mit den Horváth-Motiven zur großen Frage nach den Erwartungen der Jugendlichen an die Gesellschaft und umgekehrt.

Wie in der Literaturvorlage nahm auch Tina Müller auf das Zeitalter der Fische Bezug. Es steht metaphorisch für eine Zeit der Abhängigkeit von Führungspersönlichkeiten.

Die Menschen verlieren dabei die Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Das Fische-Zeitalter steht zudem für eine Verherrlichung des Leidens, das schließlich mit diversen Heils- und Erlösungsversprechen sein Ende finden soll.

Auch im Bühnenstück spielt die Handlung in einem Zeltlager. „Wir brauchen eine neue neokolonialistische Weltordnung“, so dort die Forderung einiger Schüler und Schülerinnen, „der Starke hat den Schwächeren zu unterwerfen“. Also musste sich die Klasse zwischen Opportunismus und Zivilcourage entscheiden. Jeder Einzelne wurde mit der Grenze seiner emotionalen Belastbarkeit konfrontiert.

Eine bühnenreife
Leistung

Insgesamt brachte es die Abschlussklasse auf eine bühnenreife Leistung, die unbestritten Anerkennung verdient, wenngleich die Handlung nicht immer konsequent dem roten Faden folgte. Schauspielerisch jedenfalls war das Stück brillant. Meggie Aubele, Lina Bullwinkel, Elisabeth Mayr, Antonia Kofler, Nina Lung, Jessica Puentes Martin, Katharina Plank, Antonia Wachtler, David Auer, Malte Buhr, Younes Tissinte und Tolga Türk erfüllten die Erwartungen an die Studienabgänger einer der renommiertesten privaten Schauspielakademien in vollem Umfang.

Je nach persönlicher Betroffenheit der Protagonisten, von deren Vornamen bis auf „Eva“ nur der Anfangsbuchstabe genannt wurde, gelang es den Darstellern perfekt, in ihre Rollen einzutauchen. Oft laut und hektisch, dann wieder leise und verstörend, eine Schwingungsebene, deren Spannung sich auf das Publikum übertrug. Das größte Vergehen im Theater ist die Langeweile – und davon gab es keine Spur.

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