Rosenheim – So muss es im Corona-Sommer zwei wohl sein, zumindest wenn Heinz Rudolf Kunze auf der Bühne des Strandkorbfestivals in Rosenheim steht: Der Tod hat das erste Wort. „Er meldet sich hektisch, er will unbedingt Antworten“, sagt Kunze. „Aber Dich, alter Streber, habe ich nicht gefragt.“
Künstler allein
auf der Bühne
Kunze sitzt ganz allein hoch oben auf der Festivalbühne, drei Gitarren, ein Flügel, ein Notenpult. Wenn er in den 1980er-Jahren mit seiner brillanten Band spielte, war er einer der besten Live-Acts des noch geteilten Deutschlands. Wenn er heute mit buntem Schal um den Hals singt und die Akustik-Gitarre schlägt, kommt Kirchentagsstimmung auf. Es beginnt zu nieseln.
Gelegentlich läuft ein Bierbringer durch die Reihen. Er muss per Internet angefordert werden. Von den Nachbarn in den anderen Strandkörben ist nichts zu sehen und nur wenig zu hören. Keine Kommunikation untereinander, Corona-Distanz.
Allein Kunze spricht. Und das tut er ausführlich, witzig, originell. Er kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen und gleich weiter aufs Steinchen, von der Zweierbeziehung auf dem heimischen Sofa zu Flucht, Vertreibung und der Verurteilung Flüchtender. Im Lied will er wissen „Mit welchem Recht“. Für ihn sitzen auch im 40. Jahr seines Bühnenlebens das Politische und Private gemeinsam im Wohnzimmer. Er ist der Poet des Privatpolitischen.
Das zieht sich seit der herausragenden LP „Wunderkinder“ von 1986 durch sein Schaffen, dem bleibt er auch in der neuesten Veröffentlichung „Der Wahrheit die Ehre“ treu.
Und diese Wahrheit ist bei Kunze nicht immer vorhersehbar. Denn wer glaubt, den Rock‘n’Roller und Liedermacher dingfest gemacht zu haben, bleibt gänzlich ungeschützt im stärker werdenden Regen des Strandkorbfestivals im Mangfallpark sitzen. Kunzes Kopf schlägt unablässig Kapriolen, bleibt unberechenbar, „widersprüchlich, aber nie zweideutig“, wie er selbst sagt.
Deshalb muss sich jeder unter die Regenplane ducken: Schrägdenker, Hassredner und Fremdenfeinde sowieso (von denen wohl nur wenige im Publikum sitzen dürften). Aber auch politische Einsortierer oder Gendersprachverhunzer (die er auf die erste Stufe einer Diktatur stellt). „Die Zeit ist reif für ein riesiges Erwachen, lasst Euch nie mehr mit Gespenstern ein. Es muss anders sein“, singt er.
Kunze war nie leicht zu fassen, widersprüchlich eben. Welche Schelte musste er sich anhören, als er 1985 seinen Hit sang: „Dein ist mein ganzes Herz.“ Ein Schlager von dem Mann, der sich selbst als von den Kings vor allem, auch den Beatles und den Rolling Stones musikalisch verführt sieht; der sich selbst Rocker nennt. „Ich geh‘ meine eigenen Wege, ein Ende ist nicht abzusehen“, singt er drei Jahre später und auch in Rosenheim. „Eigene Wege sind schwer zu beschreiben, sie entstehen ja erst beim Gehen.“
Publikum allein
am Platz
Inzwischen tobt ein Gewitter über der Stadt, Kunze zieht das Tempo an. Es ist Zugabenzeit. „Wir stehen und halten zusammen“, sagt er zu denen, die sich in ihren Strandkörben und unter Plastikplanen zurückziehen. Nur eine Handvoll Wetterfester tanzt vor den Strandkörben. Natürlich zum ganzen Herz, zu „Finden Sie Mabel“, zu „Lola“.
Jetzt singen vermutlich alle mit und es ist schon seltsam, fast nur sich selbst und seine Begleiterin zu hören. Überlaut, verstärkt durch die engen Wände des Strandkorbs. Eigentlich allein, nur zusammen mit dem Mann auf der Bühne. Aber so muss es im Corona-Sommer zwei wohl sein.