Der Frauenmörder Moosbrugger tanzt zu Strawinsky

von Redaktion

Theaterprojekt von „Regie als Faktor“ über Robert Musils Roman „Mann ohne Eigenschaften“ geht in zwölfte Runde

Rosenheim – Konzerte und Theateraufführungen schießen nun wieder wie Pilze aus dem Boden, und eine der originellsten Produktionen gab es in der Rosenheimer Vetternwirtschaft zu bestaunen: Robert Musils Tausendseiter „Der Mann ohne Eigenschaften“ wurde in zwölfter Folge auf der Bühne präsentiert. Diesmal pickten sich die Regisseure Valerie Kiendl und Dominik Frank das Kapitel mit dem rätselhaften Titel „Moosbrugger tanzt“ heraus.

Es war jedoch kein Gesellschaftstanz, durch den sich der längst inhaftierte Frauenmörder anderen Damen annähern hätte können, bevor er sie lustvoll filetierte…

Aber nun müssen wir etwas weiter ausholen! Moosbrugger – kaltblütiger Sadist oder einfach nur ein armer Irrer? – zieht als psychologisches Rätsel das Interesse einflussreicher Vertreter der guten Gesellschaft auf sich. Aber aus ihm selbst ist wenig Schlüssiges zu erfahren. Diesem Kleiderschrank von Mann steht nämlich nur ein beschränktes Vokabular zur Verfügung: „Die Worte, die er hatte, waren: Hmhm, soso.“

Damit ist wenig Staat zu machen. Auch er selbst dümpelt dumpf vor sich hin, die Umwelt wirkt auf ihn feindselig, fremd und undurchschaubar. Zwar: „Pünktlich kam die Suppe. Pünktlich wurde er geweckt und spazierengeführt. Alles in der Zelle war pünktlich streng und unverrückbar.“ Diese Ordnung ging nicht von ihm aus, sondern war ihm „auferlegt“. Er sehnte sich nach gutem Essen und träumte von großen Tellern mit Schweinsbraten.

Aber plötzlich geschah etwas Unfassbares: „Wirres richtete sich dort draußen gleich. Krauses wurde glatt. Ein lautloser Tanz löste das unerträgliche Surren ab, mit dem ihn die Welt sonst oft quälte …Und dann tanzte Moosbrugger …Tanzte würdig unsichtbar, er, der im Leben mit niemand tanzte, von einer Musik bewegt, die immer mehr zu Einkehr und Schlaf wurde… tanzte tagelang, ohne dass es jemand sah, bis alles außen, aus ihm heraus war, steif und fein wie ein Spinngewebe, das der Frost unbrauchbar gemacht hat, an den Dingen hing.“ Wie inszeniert man so etwas, dass sich die subtilen Überlegungen Musils optisch und akustisch erschließen?

Ort des Geschehens: Das Außengelände der Vetternwirtschaft. Die Stühle fürs Publikum umgeben ein mit Erde gefülltes manegenartiges Rund. Nach einer wie gewohnt temperamentvoll-witzigen Einführung durch das Regieteam, das die Fäden der Handlung auf den Punkt bringt, erscheint Laura Kupzog, die Tänzerin, liest erst mal das einschlägige Kapitel des Romans vor. Dann erklingt in voller Lautstärke Igor Strawinskys skandalumwittertes Ballett von 1913 „Le Sacre du Printemps“.

„Sacre du Musil“ war der Titel des Abends. Die Verwandtschaft ist zu greifen: Auch der Roman spielt im Jahr 1913, welches bekanntlich schon mit dem Ersten Weltkrieg schwanger ging. Die stampfenden, peitschenden Klänge Strawinskys entfalteten eine ungemein differenzierte Klanglichkeit, deren raffinierte Farbigkeit man erst viel später zu goutieren gelernt hat.

Laura Kupzog verkörperte einerseits den sich gleichsam selbst therapierenden Moosbrugger – aber sie bot wesentlich mehr, nämlich den Menschen an sich, der zwar jubelnde Aufschwünge kennt, aber sich auch der Niederlagen und Bedrängnisse mühevoll erwehren muss. Im Original kulminiert dieses archaische Ballett im Tod der Tänzerin. So werden die Götter versöhnt und der Frühling lässt reiche Ernte erwarten.

Der „Sacre du Musil“ verzichtet auf diese barbarische Opferung, die Tänzerin hüpft kurz entschlossen während des „Danse sacrale“ aus dem magischen Kreis. Wie aber wird es dem Mörder Moosbrugger ergehen?

Heftiger und lang anhaltender Beifall für Laura Kupzog, die nicht nur rein physisch (eine gute halbe Stunde Schwerstarbeit!) ihren Part imponierend bewältigte, sondern auch durch die Ausgefeiltheit ihrer Choreografie die Zuschauer überwältigte. Walther Prokop

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