Eine Stimme für die Objekte der Begierde

von Redaktion

„Regie als Faktor“ setzt Musil-Adaption fort – Frauenbild einer Männergesellschaft zum Thema gemacht

Rosenheim – In jeder Folge soll das Publikum Neuland betreten, denn jedes Mal werden die ästhetischen Grundvoraussetzungen neu erfunden; jede Aufführung bekommt so ihr spezifisches und unverwechselbares Gepräge. Für dieses Anliegen investieren die beiden Regisseure Valerie Kiendl und Dominik Frank jede Menge Fantasie. Fazit: Das Projekt „Der Mann ohne Eigenschaften“ nach Robert Musils Monsterroman wird nie zu routinierter Masche, es läuft sich nicht tot!

Dieser „eigenschaftslose“ junge Mann namens Ulrich hangelt sich auf finanziell weichem Polster durch die gute Wiener Gesellschaft von 1913. Doch seine schnell versandende Energie wendet er für Amouren auf, die ihm im Grunde wenig bedeuten.

Drei dieser verkorksten Beziehungen werfen nun in der 13. Folge mit dem blumigen Titel „Die Spitze deiner Brust ist wie ein Mohnblatt“ ein Licht auf den Egoisten Ulrich, aber auch auf die patriarchalisch aufgeplusterte Arroganz der damaligen (?) Männergesellschaft.

Drei junge Schauspielerinnen verkörpern brillant Ulrichs Objekte der Begierde: Sophie Canal, Nina Farrokhi und Annika Roth als Leona, Diotima und Bonadea. Bezeichnend, dass diese Frauen nicht unter eigenem, sondern unter den Fantasienamen, die ihnen Ulrich verpasst hat, in Erscheinung treten. Als seien sie nur Projektionen des Liebhabers.

Nun aber kommt der Clou: Es gab in Dänemark eine Talkshow, die weltweit Wellen schlug. Ein Talkmaster lud sich ins Fernsehstudio jeweils einen Künstler oder Intellektuellen ein, mit dem er Betrachtungen philosophischer (und sexistischer!) Art über die Schönheit weiblicher Körper inklusive reizvoller Details anstellte. Im Hintergrund aber posierte eine textilfreie lebendige Gestalt als konkretes Beispiel.

Dieses etwas schwindelerregende Muster wurde von Valerie Kiendl und Dominik Frank für ihre Inszenierung adaptiert.

Zunächst saßen Annika Roth und Nina Farrokhi als selbstsichere Machos in bequemen Ledersesseln und der Text Robert Musils diente als Folie ihres Geplauders: „Sie war groß, schlank und voll, aufreizend leblos. Sie war ihm aufgefallen durch das feuchte Dunkel ihrer Augen.“ Das zielte auf Leona, die Ulrich in einem kleinen Varieté kennengelernt hatte und die schnell wieder aus seinem Leben und aus Musils Roman verschwindet. Sophie Canal, der man die von Musil attestierte „Fresslust“ allerdings nicht ansah, stand derweil mutig auf der Bühne im Scheinwerferlicht.

Danach trat Nina Farrokhi als Diotima auf, während Sophie Canal den neuen Studiogast mimte: „Als Ulrich ihr seine Aufwartung machte, empfing ihn Diotima mit dem nachsichtigen Lächeln der bedeutenden Frau, die weiß, dass sie auch schön ist und den oberflächlichen Männern verzeihen muss, dass sie daran immer zuerst denken…“

Schließlich betrat Annika Roth als Bonadea das Podest. Die beiden Herren resümierten: „Sie war durchaus nicht lüstern; sie war sinnlich… Als Ulrich sie unter so romanhaften Umständen kennengelernt hatte, war sie vom ersten Augenblick an zur Beute einer Leidenschaft bestimmt gewesen, die als Mitgefühl begann, nach kurzem Kampfe in verbotene Heimlichkeiten überging…“

Im Gegensatz aber zu jener dänischen Talkshow durften die weiblichen Wesen dieser Aufführung nun doch den Mund aufmachen, um die unbefriedigende Situation der Frau auch in heutiger Zeit zu artikulieren, zunächst mit aktuellen feministischen Texten, dann aber, und das war besonders berührend, in eigener Sache. Was bleibt im Gedächtnis haften? Nicht zuletzt die wunderbare Sprechkultur der Schauspielerinnen, welche die höchst verdichtete Prosa Musils spielerisch in pure Verständlichkeit auflösten.

Das anschließende Publikumsgespräch zeigte, dass sich die Zuschauer nicht von hierzulande vielleicht gewagten Regieeinfällen provozieren ließen, sondern einmütig den ernsten Kern und die bezwingende Schlüssigkeit der Konzeption würdigten. Walther Prokop

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