Wasserburg – Andreas Legath füllt seit Jahren schon mit seinem Projekt „Inntaler Klangräume“ die barocken Kirchen des Inntals mit ausgesuchten musikalischen Kostbarkeiten, meist auch in szenischen Darstellungen. Heuer hat er sich darin selbst übertroffen: Sein Programm in der Klosterkirche Attel ist ein veritables „theatrum sacrum“, also ein geistliches Theater, im Zusammenwirken von Musik, Architektur, bildender Kunst und Theologie: ein barockes wohldurchdachtes Gesamtkunstwerk.
Zinken, Posauen
und Kirchenglocken
Zinken und Posaunen begrüßen die Zuhörer schon vor dem Kirchtor, nach dem Glockengeläut beginnt das Spektakel: Die Organistin Kaori Mune-Maier legt die musikalische Architektur einer Toccata von Giovanni Gabrieli klar, Bläser spielen von hinten und von vorne Canzonen, ebenfalls von Gabrieli, und erinnern an den Markusdom in Venedig mit seinen vielen Emporen und Kapellen.
Legath hat auch die Bühne gebaut: Längliche Quader schichten sich übereinander, darüber streben zwölf weiße Zacken wie züngelnde Flammen gen Himmel. Eine rot gekleidete Sprecherin tritt auf (Gabriele Fischer) und erzählt emphatisch die Geschichte von Hiob, die Giacomo Carissimi (1605 bis 1674) vertont hat: Er gilt als der „Erfinder“ des Oratoriums, also der szenischen Darstellung biblischer Geschichten. Der Teufel berichtet, wie er Hiob alles genommen hat: Rinder, Esel, Schafe, Haus und Kinder. Die Theorbe grollt donnervoll bei seinem Auftritt, Bernhard Springler singt ihn mit drohendem Bass. Der Engel steht Hiob in Gestalt der klar singenden Konstanze Preuss bei, Engel und Teufel sind gleich gekleidet, als wenn sie die gleiche Macht hätten. Jammervoll klagt Hiob, von Nicholas Hariades als Altus mitleidheischend gesungen. Am Ende zerreißt er sein Gewand und steht nackt und bloß da, bis er für seinen unerschütterlichen Glauben belohnt wird.
Für das Oratorium „Jephte“, ebenfalls von Carissimi, werden die Zacken von einer kleinen jungen Bühnenarbeitermannschaft weggebracht, die Quader verwandeln sich in mehrseitig amorph-organisch bemalte Stelen, die im Laufe des Oratoriums gewendet und aufgespalten werden. Der Feldherr Jephte hat, wenn Gott ihm den Sieg gewährt, versprochen, den, der ihm als erster aus seinem Haus begegnet, Gott zu opfern – es ist seine Tochter. Herrlich dramatische Musik hat Carissimi dafür geschrieben, die Legath geradezu saftig, blutvoll und mit viel Temperament in Szene setzt. In Licht gesetzt hat alles sehr gut ausgeklügelt Florian Polifka.
Händel hat für diese Geschichte ein drei Stunden dauerndes Oratorium geschrieben, Carissimi braucht in dramatisch zugespitzter Kürze nur knapp 20 Minuten. Prachtvolle archaisierende Kostüme (Silvia Hatzl) schmücken alle Darsteller, auch den entflammt singenden Chor, der nicht nur kommentiert, sondern mitagiert. Gerhard Hölzle schluchzt als Jephte textgerecht über den Tod seiner Tochter, die von Elisabeth Freyhoff gesungen wird, mit großer und trotzdem mädchenhaft reiner Stimme, anrührend lamentierend und groß sich aufschwingend, damit unmittelbar berührend. Ihr Lamento wird von einem Frauenecho von der Empore herunter beantwortet: großartig und eindrucksvoll.
Begeisterter
Applaus
Danach brandet Beifall auf, nur natürlich – aber zu früh. Denn es folgt noch ein Magnificat von Carissimi, das mehr chorisch gehalten ist und nicht jede Verszeile eigens auskomponiert. Die beiden Oratorien haben wesentlich besser gewirkt, aber theologisch passt dieser marianische Lobgesang. Der Schlussbeifall für dieses barocke Gesamtkunstwerk ist begründet begeistert und langanhaltend.