Kiefersfelden – Es geht schon ziemlich bewegend los: Bürgermeister Hajo Gruber steht allein vor der Bühne und berichtet dem Premierenpublikum sehr behutsam von den Auswirkungen der Corona-Pandemie für seine Gemeinde: „30 Tote sind zu beklagen.“ Da wird es sehr still an den Biertischen im Kurpark.
In diesem Moment beginnen die Glocken der naheliegenden Dorfkirche zu läuten. Die Musikkapelle Kiefersfelden übernimmt die Tonfolge – ein meisterhafter Coup des Dirigenten Jürgen Doetsch, der so aufzeigt, dass der Name Dorfspiel ernst gemeint ist. Über 100 Mitwirkende – von den Ritterschauspielen über die Heimatbühne bis hin zum Männergesangverein, nicht zu vergessen die Bühnenbauer und Tontechniker – geben inmitten der Inntalgemeinde ein berührendes Glaubensbekenntnis ab und flehen mit Blick auf Corona, eine der Seuchen der Neuzeit: „Heiliger Sebastian, bitt‘ für uns!“
Spannung bis
zum Schluss
Jürgen Doetsch, der Inntaler Tonzauberer, hat bis zum Schluss die Musikanten der Blaskapelle und den Kirchenchor in Atem gehalten. Im Dorf wurde im Vorfeld gemutmaßt, die Ouvertüre zu „Passio“ werde doch nicht aufgeführt. Nicht spielbar sei sie. Wer Doetsch kennt, weiß, dass er wohl tatsächlich bis zum Schluss an der Partitur gefeilt haben wird. Die Passagen des Kirchenchors wurden im Kirchenraum aufgenommen und sozusagen vom Band in die Ouvertüre eingespielt. Man könne sich nicht vorstellen, wie schwierig die Aufnahmen gewesen seien: Mit drei Metern Abstand musste coronabedingt gesungen werden, berichtet eine Mitwirkende. Aufführungen unter Jürgen Doetsch sind und waren schon immer ein Wagnis, ein Abenteuer. Und ein Heiligenspiel, in dem inniglich um ein Ende der Corona-Pandemie gebetet wird, dirigiert von einem bekennenden Gegner der Corona-Maßnahmen, die er in den sozialen Medien als „entrückte Politik“ bezeichnet, gibt der Sache schon eine besondere Würze. Trotz allem Trubel, aller Bedenken im Vorfeld, gelang Doetsch mit „Passio“ ein beeindruckendes Tongemälde. Der Leidensweg, die „Passio“, verdichtet sich musikalisch zu einem besonderen Hörerlebnis. Im Zentrum steht das von Tenor Hans Petrat berührend gesungene Glaubensbekenntnis. Dieses Bekenntnis, das der römische Hauptmann Sebastian so mutig vor Kaiser Diokletian ablegt, ist sein Todesurteil.
Doetsch geizt nicht mit musikalischen Stilmitteln: Glockenklang und Trommelwirbel, mächtiges Bassgetöne, zarte Oboen- und Klarinettenklänge wechseln sich ab mit Gesangseinlagen und Klavierspiel – natürlich vom Maestro selbst. Ein Tonteppich, dessen wuchtiger und bisweilen zarter Klang die Musikanten selbst in Staunen versetzte – auch für sie war es wohl eine beeindruckende Erfahrung, schlussendlich zu erkennen: Die Ouvertüre ist tatsächlich spielbar, das Wagnis gelingt. Eine souveräne Leistung lieferte das Ensemble der Ritterschauspiele ab, hier vor allem die Gegenspieler Kaiser Diokletian (Sebastian Andrä) und der heilige Sebastian (Maxi Larcher). Ein Sonderlob an dieser Stelle für die Frauen im Spiel, die eindrücklich verdeutlichten, wie weitreichend die Entscheidung für das Christentum ist: Frauen verlieren ihre Ehemänner, Kinder ihre Väter, Väter und Mütter ihre Söhne.
Stille im
Kurpark
Dennoch: Der von Jesus Christus vorgelebte Weg durch Leid und Tod hin zur Auferstehung verheißt Leben in Fülle. Dagegen können die römischen „Götter-Automaten“, die nur menschliche Befindlichkeiten abdecken und sich übel bekriegen, nicht an. Sebastian scheut sich nicht, das wieder und wieder zu betonen. Er muss sterben – und stirbt letztlich doch nicht, so ist der christliche Glaube. Glockenklang beschließt die Ouvertüre. „Heiliger Sebastian, bitt‘ für uns!“, fleht der Kirchenchor. Es ist sehr still im Kurpark nach dem Schlussakkord. Dann brandet Beifall auf für das gelungene Gemeinschaftswerk.