Rosenheim – Das passte ja punktgenau in den Terminkalender: Just am heißumkämpften Wahltag des 26. September eine fiktiv-satirische Wahlkampagne für die FD… naja, Sie wissen schon!
Die 14. Folge des „Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil lassen die Regisseure Valerie Kiendl und Dominik Frank („Regie-als-Faktor“) um die imposante Figur des Dr. Paul Arnheim kreisen. Dieser ist nicht nur steinreich, sondern auch eine mächtige Gestalt der deutschen Wirtschaft, jüdischer Herkunft, zudem unermesslich gebildet. Ja, er schreibt sogar Bücher, die, viel gelesen, großen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben.
Walther Rathenau als
historisches Vorbild
Künstler erfinden nicht, sondern greifen sich die passenden Bausteine aus der Realität: Hinter Arnheim steht gewissermaßen Walther Rathenau, der nach dem Ersten Weltkrieg als liberaler Politiker der DDP beitrat, die nach 1945 als FDP fortlebte. Apropos Liberalismus! Wussten Sie, dass diese Weltanschauung 1812 ausgerechnet in Spanien erfunden wurde? Dies (und noch mehr) erfuhren die Zuschauer durch das launig-witzige Liberalismus-Quiz, bei dem der Sieger Bitcoins gewinnen konnte. Dieses anregende Ratespiel lockerte die Selbstdarstellung Arnheims auf, die der Schauspieler Michael Jansky in nachdrücklich pointierter Diktion zum Besten gab.
Doch wie kommt der „Preuße“ Arnheim 1913 nach Wien und in einen durch und durch k. und k. österreichischen Roman? „…er sei in diese alte Stadt nur gekommen, um sich im Barockzauber alter österreichischer Kultur ein wenig vom Rechnen, vom Materialismus, von den der öden Vernunft eines heute schaffenden Zivilisationsmenschen zu erholen.“
Schließlich lernt er Diotima kennen, eine der einflussreichsten Damen der Gesellschaft. „…Arnheim wurde entzückt, als er in Diotima eine Frau antraf, die nicht nur seine Bücher gelesen hatte, sondern als eine von leichter Korpulenz bekleidete Antike auch seinem Schönheitsideal entsprach, das hellenisch war, mit einem bisschen mehr Fleisch, damit das Klassische nicht so starr ist.“
Arnheim darf nun mitmischen bei der Vorbereitung der „Parallelaktion“, dem Dreh- und Angelpunkt des Romans: Man steht kurz vor dem 70-jährigen Thronjubiläum Franz Josephs und hat panische Angst, von den Preußen (zur gleichen Zeit ist das an Jahren geringere Jubiläum des deutschen Kaisers fällig) in den Schatten gestellt zu werden. Eine pikante Situation: Der preußische Machtmensch im innersten Zirkel hochrangiger „kakanischer“ Patrioten!
Auferstanden aus
Blechbadewanne
Damit sei der thematische Hintergrund ausgeleuchtet. Doch wie schaffte es die Regie, diese Figur eines wirkmächtigen Liberalismus auf die Freilichtbühne der Vetternwirtschaft zu hieven? Arnheim, alias Michael Jansky, schlummerte erst mal im Grab. Dazu diente eine alte Blechbadewanne im Hintergrund der Bühne.
Nach dem auf große Leinwand projizierten (natürlich ironisch gemeinten) Werbespot der aktuell liberalen Partei, erhob sich der in historischen Schlotteranzug gekleidete Akteur unter gehörigem Dampfgeblase ins Jahr 2021, befragte zunächst das Publikum anzüglich nach seinem Wahlverhalten, bevor er die eigene Einschätzung seiner gewichtigen Persönlichkeit genüsslich, wortreich, zugleich charmant den Zuhörern unterbreitete. Eine dramaturgisch aufbereitete Musil-Lesung, die beim Publikum immer wieder Lacher hervorrief!
Am Ende verkrümelte sich Arnheim wieder in seiner Badewanne, um ins Jahr 1922 zurückzukehren – Rathenau wurde damals von Rechtsextremisten ermordet. Und das Resümee? Man rief parteiübergreifend: „Es lebe die Freiheit!“ Bravo!
Walther Prokop