Rosenheim – Begonnen hatte es als ein Konzert mit geistlicher Musik, am Ende war es ein Hymnus auf die Macht der Liebe: Der Rosenheimer Komponist Walther Prokop (geboren 1946) hatte in die Rosenheimer Hedwigskirche geladen, um Musik von ihm und Weggefährten vorzustellen.
Am Ende sangen nämlich die Altistin Luitgard Hamberger und der Tenor Herbert Gruber einen glühenden Liebesdialog, dessen Text das Hohelied aus der Bibel liefert und den Walther Prokop vertont hat. Die von Luitgard Hamberger so intensiv und mit warmem Alt gestaltete Liebessehnsucht durchpulste die Musik, sowohl die bebenden Dissonanzen und unruhig schweifenden Figuren der Orgel als auch den wortmächtig-dramatischen Gesang. Herbert Gruber antwortete darauf hymnisch erregt und dann wieder zärtlich die Schönheit der Freundin in immer neuen Vergleichen rühmend: ein starkes Ende eines sehr abwechslungsreichen Konzertes.
Den größten Anteil daran hatte Herbert Weß: Ohn‘ Unterlass saß er an der Orgel, begleitend und auch solistisch agierend.
Drei von ihm komponierte Choralvorspiele hüllten die jeweilige Choralmelodie in ein harmonisch schillerndes Gewand, ließen sie triumphierend glitzern oder beinahe sacht tanzen. Eine aufsteigende, wie zum Gebet die Hände hebende Melodie prägte „Anrufung“ von Wolfgang H. Ebert (1950 geboren), bevor die Musik greller und hektischer wird. Als „kunstvoll ungekünstelt“ charakterisierte Prokop, der die Werke und Komponisten ganz kurz vorstellte, die „Toccata und Fuge“ op. 35 von Hans Melchior Brugk (1909 bis 1999): Die Toccata beginnt umherwirbelnd mit großen dynamischen Kontrasten und mündet dann in die kunstreich gefertigte Fuge, die ganz schulgerecht mit einer Engführung, einem Orgelpunkt und einem strahlenden Dur-Akkord schließt, alles von Weß sehr farbig registriert. Klare Linienführung und durchsichtige Struktur“ bescheinigte Prokop der Fantasie für Flöte von Klaus Obermayer (1943 bis 2009).
Alice Guinet spielte so schön und jeden Ton auskostend, dass Bilder im Kopf entstanden von einem vor sich hinflötenden Hirten in einer paradiesischen Landschaft. Selbst das letzte aushauchende Pianissimo war bis in den letzten Hauch bewusst gespielt. Das „Ave Maria“ von Alexander Stimmelmayr (geboren 1946) war lyrisch fließend, von Ursula Preißler innig gesungen und von der Geige (Monika Hagitte) fast dialogisch begleitet, während sich die Orgel hier im Hintergrund hielt. Viel deklamatorischer war der Psalm 34 „Kostet und sehet“ von Dietmar A. Lindner (geboren 1947), die Orgel umspielte zart den emphatisch singenden und das Wort betonenden Tenor Herbert Gruber. Liebevoll und immer neu registriert hatte Herbert Weß das „Ave Maris Stella“ von Walther Prokop. Ursula Preißler sang sich mit klarem Sopran immer ausdrucksintensiver in die zahlreichen Anrufungen der Gottesmutter hinein.
Doch am Ende des Konzerts entzückte am meisten die Anrufung der reinen und durchaus erotischen Liebe des Hohenliedes.
Rainer W. Janka