Prien – Improvisation ist das gleichzeitige Erfinden und Ausführen eines musikalischen Gedankens und verlangt herausragende Kenntnisse der musikalischen Regeln und Formen, Virtuosität und enorme Kreativität und Spielfreude. Professor Wolfgang Seifen, Titularorganist der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Leiter des Orgelimprovisationsfestivals Berlin, Mitbegründer der Altenberger Akademie für Orgelimprovisation und emeritierter Professor der Berliner Hochschule der Künste, absolvierte all das auf einem Parforceritt durch die Stile (dank Videotechnik war der Orgelmeister im Altarraum „bei der Arbeit“ zu bewundern) an der großen Woehl-Orgel in der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Prien zum krönenden Abschluss des Priener Orgel-Jubiläums. In Anlehnung an den großen Meister der „Kunst der Fuge“, J.S. Bach, waren Präludium und Fuge ein barocker Strauß an Klangfarben und Polyphonie. Das Praeludium mit all den typischen Merkmalen wie chromatisch absteigende Basslinien und klar strukturierter Motivik und Rhythmik. Das Fugenthema anspruchsvoll, quer durch alle Tonarten und mächtig im Bass zum Schluss erstrahlend – das war kontrapunktisches Können in Perfektion. Angelehnt an die deutschen Romantik-Komponisten wie Mendelssohn, Brahms oder Reger erklangen dann drei Charakterstücke im deutsch-romantischen Stil: Die Arabeske atemberaubend schnell – all die feinen Flötenregister der Orgel auskostend, die Cantilene als Dialog der Oboe und des Bassetthorns eingebettet in sanft geschwungene Melodiebögen mit satter romantischer Harmonik der Begleitstimmen und das Scherzando als lebhaft-munteres Agieren auf Manualen und Pedal. Höhepunkt war die Orgelsymphonie im französisch-symphonischen Stil. Fünf Sätze und jeder einzelne davon ein Kniefall vor den französischen Komponisten Franck, Widor, Vierne oder Boellmann. Da packte der Orgelvirtuose Wolfgang Seifen das große Besteck aus, da brauchte es kein Orchester, da genügte die Orgel, um eine ganze „Priener“ Symphonie mit ihren verschiedenen Themen und Bezügen erstehen zu lassen. Prächtig, majestätisch, wild und versöhnlich – all diese Adjektive ließ Prof. Seifen an der Orgel plastisch werden. Besonders der „dance macabre“ (der Totentanz) war sehr eindrücklich, da rasselten die Gebeine, da hüpften die Finger über die Tasten und da erklang eine schunkelnde Melodie. Im Finale der Symphonie vermengte der Orgelvirtuose die vorausgegangenen Motive und ließ das „Salve Regina“-Motiv aufleuchten. Nach dem mächtigen Schlussakkord stehende Ovationen und langanhaltender Applaus und als Zugabe eine himmlisch-schöne Improvisation über das gregorianische „Salve Regina“ kombiniert mit dem Brahmschen Wiegenlied „Guten Abend, gut‘ Nacht“.
Elisabeth Kirchner