Seelenbilder aus dem ewigen Eis

von Redaktion

Städtische Galerie in Traunstein zeigt bis 9. Januar Fotozyklus von Stefan Hunstein

Traunstein – Seit der Romantik üben die Gletscher und arktischen Zonen eine magische Anziehungskraft auf Forscher, Schriftsteller und Künstler aus. Mit dem Gemälde „Das Eismeer“, das ein unter sich auftürmenden Eisschollen begrabenes Schiff zeigt, hat der Maler Caspar David Friedrich dieser menschenfeindlichen Region ein Denkmal gesetzt. Der Suche nach Selbsterkenntnis und Abenteuer im Eismeer spürt wiederum Christoph Ransmayer in seinem Roman „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ nach.

Durchbricht
gängige Klischees

Beides sind Inspirationsquellen für Stefan Hunstein. Der Schauspieler und Fotokünstler aus München bereiste 2012 und 2014 die Polarregionen. Zu Fuß, per Schiff oder mit dem Helikopter war er unterwegs, um mit der Kamera Bilder einzufangen. Diese gehen unter die Haut. Der entstandene Fotozyklus „Im Eis“ ist nach Ausstellungen in München, Hamburg und Bonn noch bis 9. Januar 2022 in der Städtischen Galerie in Traunstein zu sehen, die aktuell coronabedingt geschlossen ist.

Als Schauspieler hat Hunstein auf bedeutenden Bühnen in Wien, Zürich, München, Berlin oder Bochum die Seelentiefe vielschichtiger und komplizierter Charaktere ausgeleuchtet. Ähnlich nähert er sich den imposanten Szenarien am Nordpol und in Grönland, die Seelenlandschaften und Traumbilder voller Poesie, aber auch tiefgründigen Schrecken widerspiegeln.

Hunstein durchbricht gängige Klischees, die sich zivilisationsverwöhnte Menschen von der Region des ewigen Eises machen. Das Meer erscheint wie ein öliger Teppich, Gletscher wirken wie die schmutzig-graue Oberfläche eines fernen Planeten. Die bizarre Architektur der Eisriesen erinnert an Felswände.

Nichts ist, wie es scheint. Horizontlinien zwischen Eis und Himmel lösen sich in diffusem Nichts auf. Eisschollen scheinen wie erstarrte Lebewesen in einer Ursuppe zu schweben. Risse im Eis zeichnen grafische Muster einer berührenden Naturästhetik. Lichtspiele und Wolkentürme generieren atmosphärische Symphonien voll schrecklich-schöner Dramatik.

Hunstein gelingt so das Kunststück, die Aggregatzustände von Wasser und Luft durch eine spezielle Art von Lichtmalerei mit den Mitteln der Fotografie ins Fließen zu bringen. Was den Eindruck noch verstärkt, ist ein spezielles Druckverfahren, mit dem die Fotografien ohne Qualitätsverlust tonwertreich auf Glas aufgebracht werden. Dies verstärkt den Eindruck einer besonderen, konturenreicher Haptik.

Vielleicht liegt es daran, dass Hunstein der Fotografie als Medium erst einmal zutiefst misstraut hatte. In seinem „Ersten fotografischen Manifest“ von 1991 schrieb er: „Das Foto raubt den Dingen ihre eigene Sprache. Es sagt triumphierend, was sie sind.“ In seinem Fotozyklus „Im Eis“ beschreitet Hunstein den umgekehrten Weg. Der menschliche Faktor, sowohl als Subjekt wie auch als Objekt, kommt bis auf seltene Ausnahmen in den Bildern nicht vor. Der Standpunkt des Fotografen, die Maßstäblichkeit des Gezeigten sowie die Struktur und Beschaffenheit des Abgebildeten bleiben in den meisten Beispielen unklar.

Nimmt sich als Künstler zurück

Dadurch eröffnen sich gedanklich und gestalterisch Freiräume, um die Natur selbst zum Schöpfer einer neuen Form von Ästhetik werden zu lassen. Indem sich Hunstein als Künstler bewusst zurücknimmt, macht er sich zum Zeugen von etwas Bedeutendem, das über die eigene Persönlichkeit hinausreicht. Die Grenzen zwischen Realität und Traum, Außen- und Innenwelt verschwimmen. Die Fotos laden zur Reise ins eigene Innere, zum Prozess der Selbsterkenntnis ein.

Noch bis 9. Januar

Der Fotozyklus von Stefan Hunstein ist noch bis zum 9. Januar in der Städtischen Galerie Traunstein zu sehen.

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